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Aussendungszeitpunkt: 17. Januar 2001 - 7:07
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Glosse/FPOeVP:

> Sicherheitsdemokratie

Die neue Regierung macht auf buergernah und will uns vielleicht
doch hie und da die Moeglichkeit geben, uns in politische Belange
einzumischen -- doch unter welchen Bedingungen?

*

"In Oesterreich koennte es bald mehr Volksabstimmungen geben"
meldete am Samstag ORF ONLINE. Hintergrund dieser Behauptung ist
die Vorstellung des "Demokratiepaketes" durch die OeVP. Denn der
Kholsche Entwurf sieht vor "dass Volksbegehren mit 500.000 Stimmen
verbindlich einer Volksabstimmung unterzogen werden".

Prinzipiell ist diese Forderung ja durchaus im Sinne
demokratischer Erneuerung. Und ich halte auch nichts von der
Ablehnung der plebiszitaeren Demokratie, nur weil sie eine
Spielwiese fuer Demagogen bietet. Natuerlich ist diese Gefahr
vorhanden und die Diktatur der Mehrheit -- noch dazu, wenn sie
kronenzeitungslesend ist -- ist alles andere als leiwand. Doch
daechte man diesen Ansatz zu Ende, mueszten wir auch die Wahlen
abschaffen und uns unsern alten Habsburg wieder holen.

Nein, meine Kritik ist eine andere. Denn diese Huerde an
Mindestunterschriften kann wohl nur im Ausnahmsfall von einer
echten Basisinitiative genommen werden. Mehr als 500.000
Unterschriften sind praktisch nur dann machbar, wenn eine starke
nationale Pressuregroup vorhanden ist. Zumeist werden
Volksbegehren aber mittels der Unterschriften von Abgeordneten --
also von Mitgliedern der "politischen Klasse" -- gestartet. In der
gesamten 2.Republik gab es nur zwei Volksbegehren, die nur mit
Stimmen aus dem Wahlvolk eingeleitet worden waren - naemlich das
noch zur Zeit des schwarzroten Doppeladlers von einem
Zeitungskonsortium unterstuetzte Rundfunkvolksbegehren 1964 und
das "Aktion Leben"-Volksbegehren 1975 gegen die Fristenloesung.
Selbst wenn man diese beiden Volksbegehren formal als
Basisinitiativen akzeptiert, ist es doch ein Vierteljahrhundert
her, dasz ein Begehren ohne Zutun von Abgeordneten das jetzt von
der OeVP vorgeschlagene Mindestmasz an Unterschriften erreichen
koennte.

Minderheitenthemen, die nicht vom Nationalrat oder anderen
breitenwirksamen Institutionen thematisiert werden, haben unter
diesen Bedingungen keine Chance. Anliegen von gesellschaftlichen
Minderheiten, die von keiner der gerade mal vier Parteien im
Parlament und auch nicht der Kirche oder dem Kameradschaftsbund
vertreten werden, bleiben ausgegrenzt. Das Volksbegehren "Pro
Motorrad" zum Beispiel erhielt gerade mal 75.000
Unterstuetzungserklaerungen -- nicht deswegen, weil alle anderen
Wahlberechtigten gegen den Text gewesen waeren, sondern einfach
der Tatsache geschuldet, dasz der Anteil der Motorradfahrer in
Oesterreich nicht gerade hoch ist. Auch stellt sich bei
Volksbegehren, denen in den Medien wenig Beachtung geschenkt wird,
das Problem, dasz trotz vielleicht vorhandenem Interesse in der
Bevoelkerung nur sehr wenige Unterschriften zustande kommen -- ein
Beispiel dafuer ist das erst kuerzlich veranstaltete Anti-EU-
Volksbegehren. Ein Ignorieren in der veroeffentlichten Meinung ist
also ein probates Mittel, Anliegen nicht zu thematisieren.

Dieses Ignorieren ist aber nur dann moeglich, wenn das Ergebnis
keine Rechtsfolgen hat und auch eine Gegenprobe ausbleibt. Gibt es
aber eine Abstimmung, kann die Sache nicht mehr unter den Tisch
fallen gelassen werden, will man nicht einer gut informierten
Minderheit die alleinige Entscheidungsmacht zugestehen. Ein
schoenes Beispiel dafuer, dasz belaechelte Initiativen bei
zwingenden Volksabstimmungen ploetzlich ein Thema werden koennen,
war die Initiative zur Abschaffung der Armee in der Schweiz. Bis
zum 16.11.1989 galt der Aphorismus: "Die Schweiz HAT keine Armee,
die Schweiz IST eine Armee" als politisch unanfechtbare Realitaet
und niemand hatte damit gerechnet, dasz auszer ein paar
unschweizerischen Spinnern jemand die Totalabschaffung der Armee
fordern koennte. Um so erschuetternder war das Ergebnis der
Abstimmung fuer das Establishment. Ein Drittel aller gueltigen
Stimmen -- bei einer Wahlbeteiligung von 69% -- war fuer die
antimilitaristische Radikalkur zu gewinnen. Mit diesem Ergebnis
hatten nicht einmal die optimistischsten Betreiber der Initiative
gerechnet. Seit diesem Zeitpunkt gilt der nationale
Landesverteidigungskonsens der Schweiz als nicht mehr existent.

Volksbegehren ueber 500.000 Stimmen sind hingegen wohl nur solche
ueber Themen, denen sowieso schon weites Interesse
entgegengebracht wird -- die also im Kalkuel der Politik sowieso
nicht ignorierbar sind.

Zugegeben, das von SPOe- und Gruenen-Abgeordneten initierte
Frauenvolksbegehren mit ueber 600.000 Unterschriften waere
tatsaechlich zur Abstimmung gelangt -- also koennte man doch von
einem Fortschritt sprechen. Aber hier stellt sich ein anderes
Problem: Frueher muszte ein Volksbegehren einen eindeutigen
Gesetzesantrag zum Inhalt haben -- was natuerlich ein recht
sperriges Unterfangen darstellt. Deswegen wurde zur allgemeinen
Erleichterung der Verstaendlichkeit in Oesterreich die
Moeglichkeit eingefuehrt, auch tendenzielle Forderungskataloge
ohne juristische Spitzfindigkeiten zu Volksbegehrenstexten zu
machen -- weils naemlich eh wurscht war; der Nationalrat konnte
mit dem Antrag sowieso machen, was er wollte und handelte ihn oft
genug auch schon in 20 Minuten ablehnend ab. Denn haette er eine
Mehrheit im Hohen Haus gehabt, haette man das ganze Volksbegehren
ja gar nicht starten muessen.

Nun aber stellt sich folgendes Problem: Ein gut verstaendlicher
und politisch argumentierbarer, juristisch aber vager
Forderungskatalog koennte nicht einer Volkabstimmung unterworfen
werden, ohne sich der Gefahr auszusetzen, dasz die Legisten in
Parlament und Ministerium das so verbraten, dasz beinahe das
Gegenteil der Forderung Gesetz wird. Bei einem juristisch
haltbaren Text aber -- gerade zum Beispiel in den komplizierten
Materien des Sozial- und Gleichstellungsrechts -- stellt sich die
Frage, ob 600.000 Wahlberechtigte dies tatsaechlich unterschreiben
wuerden. Denn viele unterlieszen es wohl eher, da sich nicht
sicher waeren, was genau sie da eigentlich unterstuetzen wuerden.

In der schon angesprochenen Schweiz, dem bekannten Musterland der
plebiszitaeren Demokratie, gibt es zwar eine Menge buerokratischer
Moeglichkeiten, den Volkswillen zu behindern, aber es reichen (bei
fast gleicher Bevoelkerungzahl wie Oesterreich) fuer einfache
bundesgesetzliche Anliegen bereits 50.000 Unterschriften, fuer
grundlegende Aenderungen der Verfassung 100.000, um eine
Abstimmung zu erzwingen. Und das in einem Land, das aufgrund
seines wie auch immer zu bewertenden Isolationismus keine hoehere
Instanz kennt als die eidgenoessische Confoederation. Bei uns
wollen sie Abstimmungen nur dann, wenn es 500.000
oesterreichischen Menschen wert ist, aufs Bezirksamt zu gehen und
dort ohne Wahlgeheimnis der Obrigkeit ihre politische Meinung
kundzutun. Und das unter politischen Rahmenbedingungen, wo die
Meinungsbildung (die einer Abstimmung wohl vorhergehen sollte)
mittels Subventionsentzug, Intervention und gerichtlichen Klagen
mit aller Gewalt unter die Kontrolle der Regierung gebracht werden
soll.

Die Idee des Ansatzes der Regierung ist nicht ganz schlecht. Dennoch
bleibt die Handschrift der Machtpolitiker bleibt unverkennbar: Man tut so,
als waere man demokratisch. Das kommt immer gut. Schließlich will
man ja einen Buerger, der sich mit dem System auch wirklich identifizieren
kann und nicht auf staatsfeindliche Ideen kommt. Aber man achtet
wohl darauf, dasz einem das nicht so leicht auf den Kopf faellt.

*Bernhard Redl*
 

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