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Aussendungszeitpunkt: 9. Januar 2001 - 14:57
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Palaestina/Israel:

> Brief aus Jerusalem

Sonntag 31.12.2000. Gestern erlebte Israel die groeszte
Manifestation fuer einen gerechten Frieden, die erste, die
stattgefunden hat seit dem erneuten Ausbrechen der Intifadah vor
drei Monaten... und es war eine gemeinsame israelisch-
palaestinensische Aktion.

 Aus ganz Israel kamen Frauen in Trupps -- juedische, muslimische,
christliche und drusische. Und trotz der Absperrung, die Israel
ueber die Besetzten Gebiete verhaengt hatte, gelang es auch
palaestinensischen Frauen und Maennern, auf Wegen, die nur sie
kennen, die Gruene Linie zu ueberschreiten und uns zu erreichen.

Der Tag begann im Notre Dame Konferenzzentrum, das sich
symboltraechtig an der Grenze zwischen dem juedischen und dem
palaestinensischen Teil von Jerusalem befindet. An den Waenden
hingen zwei riesige Transparente in Hebraeisch und Arabisch:
"Frauen fordern: Nein zur Besetzung - Ja zu einem gerechten
Frieden!" Wir begannen mit Gruszadressen von drei internationale
Wortfuehrerinnen der Frauen-Friedensbewegung, die zu dieser
Manifestation angereist waren -- Luisa Morgantini aus Italien,
Simone Susskind aus Belgien, und June Jacobs aus England.  Hannah
Safran von "Women in Black" und Nabeha Murkus aus Tandi
berichteten den Anwesenden ueber Solidaritaetsdemonstrationen, die
in der ganzen Welt stattfinden und ueber Gruszadressen von
Organisationen und Einzelpersonen aus einer langen Reihe von
Laendern.

Frauen bestiegen das Podium, Palaestinenserinnen und Israelinnen
abwechselnd, um bewegend und leidenschaftlich sowohl ueber das
Leiden zu berichten, als auch ueber die Entschlossenheit, das
Blutvergieszen zu beenden.  Das war eine "Konferenz des Volkes",
aber in der Zuhoererschaft waren auch drei Mitglieder der Knesset
(Tamar Gozanski, Naomi Chazan und Muhammad Barake), die ihre
Unterstuetzung fuer die Basisarbeit zum Ausdruck brachten.  Die
Simultanuebersetzungen ins Hebraeische, Arabische und Englische
ermoeglichten jeder Frau, in ihrer eigenen Sprache zu sprechen.
Mit Bussen wurde die ganze Versammlung zur Hagar Plaza gefahren,
dem Platz, wo Jerusalems Mahnwache der Frauen in Schwarz
stattfindet, und annaehernd 2000 Frauen fuellten den ganzen Platz
und die angrenzenden Straszen. Sie trugen die traditionellen
Zeichen der  schwarzen Hand mit der Aufschrift "Ende der
Besatzung" in Hebraeisch, Arabisch und Englisch.  Diese
schweigende einstuendige Mahnwache war ein ungleich dramatischerer
Anblick als gewoehnlich und Fernsehteams aus der ganzen Welt -
auch aus Israel - waren da, um Aufnahmen zu machen. Die extreme
Rechte versuchte mit allen Mitteln, die Reihen zu infiltrieren,
uns zu provozieren und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und
schlieszlich pruegelten sie sich mit der Polizei, aber sie wurden
ueberwaeltigt und hinter Barrieren gedraengt -- auszer Sicht, und
aus der Aufmerksamkeit der Medien.

Um 2 Uhr nachmittags begann unser Marsch nach Ost-Jerusalem.
Frauen und Maenner von anderen Organisationen, die sich mit
unserer Demonstration vereinigt hatten -  von Gush Shalom kam eine
Busladung von Aktivisten -- trugen ihre eigenen Fahnen und
Friedenszeichen. Der Anblick war ueberwaeltigend, als sich die
Strasze mit Menschen und Stimmen fuellte.  Nabila Espanioli aus
Nazareth ergriff ein Megaphon und fuehrte den Sprechchor an:
"Peace?" "YES!" -- "Occupation?" "NO!" abgewandelt in Hebraeisch,
Arabisch, Englisch und sogar Italienisch fuer die 35
Teilnehmerinnen, zu dieser Veranstaltung eingeflogen waren. Ueber
allem wehten Fahnen und Transparente mit der Aufschrift
"Palaestina Seite an Seite mit Israel -- an den 67er-Grenzen",
"Jerusalem - 2 Hauptstaedte fuer zwei Staaten", "Das Jahrhundert
der Generaele ist vorbei", "Unterstuetzt die Armen, nicht die
Siedler", und "Wir weigern uns, Feinde zu sein".

Als wir uns schlieszlich im Park neben den Mauern des alten
Jerusalem versammelten, lagerten sich die Leute auf dem Gras an
diesem unueblich warmen und sonnigen Wintertag, und erwarteten
angeregt die Abschluszzeremonie.  Wegen der Verkehrsstaus, die
unser Marsch verursacht hatte, waren die Wagen mit der Tonanlage
noch nicht angekommen, aber die Menge wartete geduldig. Inzwischen
hatten vier couragierte junge Frauen, mit Fahnen in der Hand die
hoechste Mauer der Altstadt erklettert --  ueber Treppen, aber
auch mit einem recht gefaehrlichen Sprung -- neben zwei
bewaffneten Soldaten, die uns "beschuetzten".  Von dort aus
entrollten sie vier Banner, die ueber die ganze Mauer reichten,
mit der Aufschrift "Shalom, Salaam, Peace" und "Beendet die
Besetzung" in drei Sprachen. Die Menge brach in Zustimmungsrufe
aus und die Altstadt war fuer einen kurzen Moment zur Stadt des
Friedens erhoben worden -- bis die Soldaten zwei der Frauen
ueberwaeltigten. Die Frauen warfen klugerweise die anderen beiden
Fahnen hinunter in die Menge um sie -- und vermutlich sich selbst
-- zu retten. Aber es war ein groszartiger Moment in der modernen
Geschichte.

Schlieszlich war die Tonanlage installiert und Halla Espanioli
sprach in einer bewegenden Rede ueber unsere Sehnsucht nach
Frieden. Sie bat um eine Schweigeminute zur Erinnerung an alle,
die in den letzten Monaten getoetet wurden und das Schweigen in
der Menge wurde koerperlich fuehlbar. Im Anschlusz daran sprach
ich ein etwas geaendertes juedisches Gebet. Wir alle beschlossen
den Tag mit dem Gesang von "We Shall Overcome".

Es gibt noch viel zu tun, um diesen Moment in eine Revolution zu
verwandeln. Wir laden Euch alle ein, Euch uns anzuschlieszen!

*Gila Svirsky, Coalition for a Just Peace (uebers. & gek.: akin)*
 
 

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