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Aussendungszeitpunkt: 6. Dezember 2000 - 3:06
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Balkan:

FYROMer Bekanntschaften

> Ein balkanisches Tagebuch (XII)

Von Andreas Jordan

*

Jazzfestival ist in Skopje - und ein Bekannter, ein argentinischer
Menschenrechtsanwalt, der fuer die UN im Kosovo arbeitet, seine
Familie aber in Skopje wohnen hat, hat mich uebers Wochenende zu sich
heim nach Mazedonien eingeladen. Die Familie meines Bekannten wohnt am
Rand von Skopje, in einem Haus, aus dem sie demnaechst ausziehen
werden: Der Vermieter, ein aelterer Mann, hat letztens was wie "Und
der Hitler hat schon recht gehabt" geaeussert - und das kommt nicht
gut an bei Menschen, die bis vor 15 Jahren unter einer faschistischen
Militaerdiktatur gelebt haben.

Am Abend spielt Carla Bley und Band. Ich erinnere mich noch an das
Jazzfestival in Wiesen vor ueber 15 Jahren, wo ich als Backstage-
Ordner taetig war und einmal unvermutet Carla Bley gegenuebergestanden
bin, einer anorektischen Figur von wohl nicht mehr als 40 kg, deren
Kniegelenke als faustdicke Beulen aus ihren skelettduennen Beinen
unterm Minirock hervorgestanden sind. Heute wirkt sie nicht wesentlich
fuelliger und hat eine geniale Band dabei, darunter den Wiener
Saxophonisten Wolfgang Puschnig, und einen New Yorker Posaunisten mit
Haengebacken wie eine Bulldogge. Das Konzert ist ausgezeichnet - von
einem Niveau, dass man Vergleichbares in Wien wohl nicht allzuoft zu
hoeren bekommt. Das Jazzfestival in Skopje ist hochrenommiert und
besteht seit ueber 15 Jahren, entstammt also noch der
gesamtjugoslawischen Aera, und ich finde es bemerkenswert, welche
Aktivitaeten damals gesetzt wurden, um Hochkultur auch in den armen
Sueden des Landes zu bringen. Bunt ist das Publikum: Von aufgetakelten
Damen in mittleren Jahren ueber Pensionisten im dunklen Anzug mit
Kravatte bis zu Jugendlichen mit Dreadlocks in Jeans und Turnschuhen
ist alles vertreten - angenehm!

*Stadtbesichtigung*

Am zweiten Tag ist "richtiger" Tourismus in Skopje angesagt: Die Stadt
wurde bei einem gewaltigen Erdbeben 1963 fast voellig zerstoert, mit
einem Saldo von 40.000 Toten. Mir wird auf meine Fragen von der alten
osmanischen Festung und dem darunterliegenden "Alten Bazar" erzaehlt,
die jenseits des Flusses liegen und das einzig wirklich Alte an
Bausubstanz in Skopje darstellen sollen. Maerkte sind immer die besten
Indikatoren fuer das Leben in einer Stadt, finde ich.

Der Weg von dem Villenviertel, in dem meine Gastgeber wohnen, bis an
die Bruecke, hinter der sich der Alte Bazar erstreckt, dauert eine
knappe Stunde - entlang einer Strassenschneise durch die
Plattenbauten. Allein daran kann man ermessen, dass die Menschen hier
nicht so zusammengepfercht wie in Prishtina leben - Skopje hat mit
seinen knapp 600.000 Einwohnern fast genauso viele wie die Kosovo-
Hauptstadt, aber Skopje bedeckt fast zehnmal mehr Flaeche als
Prishtina. Die Stadt ist, im Gegensatz zu Prishtina mit seinem
klirrend kalten, aber klaren Winter, beruechtigt fuer ihren
permanenten Hochnebel im Winterhalbjahr. Abblaetternde Hochhaeuser,
acht bis zwoelf Stockwerke hoch, dazwischen kahle und teilweise
abgestorbene Pappel- und Kastanienalleen, immer wieder auch
windschiefe Huetten, richtige Elendsquartiere, die noch von der Zeit
nach dem Erdbeben zu sein scheinen, und gelegentlich auch Ein- oder
Zweifamilienhaeuser der Betuchteren dazwischen - auch Skopje ist
beileibe keine schoene Stadt, obwohl sie viel mehr Gruen- und Freiraum
bietet als Prishtina.

Skopje, oder Shkup, wie die Albaner sagen wuerden, die knapp die
Haelfte der Bevoelkerung der Stadt darstellen (bis vor zehn Jahren,
als Tirana nach dem Umsturz von 1990/91 unkontrolliert zu wachsen
begann, war Skopje "die groesste albanische Stadt der Welt"), liegt
entlang dreier Schnellstrassenschneisen - eine Stadt, sehr lang und
schmal. Und man merkt sofort, was zaehlt: Das Vehikel. Allueberall
stehen, genauso wie in Prishtina, die Autos auf den Gehsteigen,
waehrend die Fussgaenger auf der Strasse gehen muessen. Die Autos
fahren aehnlich ruecksichtslos wie im Kosovo - keine Stadt fuer
Radfahrer!

Ein Gebaeude inmitten der vergammelten Plattenbauten, das aus der
Entfernung wie ein Hochsicherheitsgefaengnis wirkt (dicke Gitterstaebe
rund um einen Hof, schwerbewaffnete Waechter, Sicherheitsschleusen,
alle Fenster massiv vergittert), entpuppt sich aus der Naehe als die
US-Botschaft.

Kurz vor der alten osmanischen Steinbogenbruecke (15.Jahrhundert)
ueber den Vardar, der die albanisch- und die mazedonischsprachigen
Viertel der Stadt trennt, ein kleines Graetzel mit
Jahrhundertwendebauten. An etlichen haengt eine Fahne mit einer
stilisierten roten Sonne vor gelbem Hintergrund. Schauderhaft, wie die
Japaner hier alle repraesentativen Gebaeude aufgekauft haben! - Es
dauert, bis ich ueberzuckere, dass das nicht die japanische, sondern
die mazedonische Flagge ist - all diese Gebaeude beherbergen
offizielle Institutionen und Ministerien.

Gegenueber der osmanischen Festung, am Flussufer, ein
Partisanendenkmal, eine dreifach lebensgrosse Gruppe Bronzefiguren,
hauptsaechlich Maenner, beim Schiessen und Handgranatenwerfen.
Rundherum mindestens zwanzig Kraenze und frische Blumengebinde - der
Partisanenkampf scheint im Bewusstsein der Bevoelkerung nach wie vor
sehr praesent zu sein.

Mir wurde gesagt, jenseits des Flusses seien die albanischen Viertel.
Ich versuche mein Glueck beim ersten Maronibrater nach der Bruecke und
frage auf Albanisch, was seine Maroni denn kosten sollen. Oops, die
falsche Sprache erwischt - blankes Unverstaendnis, Antwort auf
Mazedonisch. Ich schaffe es dann doch, ein Stanitzel voll zu erwerben,
und lege knappe 10 oeS fuer 20 Maroni ab. Die Maroni sind
ausgezeichnet - kein Wunder bei den kurzen Transportwegen.

Kurz hinter der Bruecke ein Gewirr kleiner Gassen, Steinpflaster deckt
den Boden, rechts und links ausschliesslich kleine Geschaefte und das
eine oder andere einfache Beisl - ich bin im Alten Bazar. Hier wird
alles verkauft - Schuhe, einzelne Schrauben, Klomuscheln, Goldschmuck,
Felljacken, Synthetikteppiche aus Fliessbandistan, Stoffe,
handgetriebene Kupfergefaesse zur gefaelligen Verwendung der
Privatdestilleure beim Schnapsbrennen, einfach alles. Dazwischen
Werkstaetten: Eine Kupferschmiede mit durchhaengendem Dach, in der
seit drei Generationen sicher kein Detail veraendert worden ist,
Tischlereien, Messerschleifer, Ofenspengler (die aus Blechabfaellen
Kanonenoefen herstellen), Werkzeugschmiede. Hinter dem Viertel ein
kleiner Platz voll Dreirad-Rikschas, auf deren Ladeflaeche alte
Maenner mit runden Wollmuetzen in der inzwischen doch durchgekommenen
Sonne liegen und Siesta halten, waehrend sie auf Kunden warten, deren
Einkaeufe sie nach Hause transportieren koennten.

Anschliessend der Lebensmittelmarkt: Eine Freude! Mindestens so
lebendig wie der Naschmarkt, aber nicht ganz so trendy. Diversestes
Obst und Gemuese in grossen Haufen, Maroni, Granataepfel, Melanzani.
Sogar die mir aus der Neuen Welt bekannten Chayotes, mit einem
Geschmack irgendwo zwischen Kartoffeln und Kohlrabi ein wesentliches
Ingrediens jeder mittelamerikanischen Gemuesesuppe, birnenfoermig und
stachelig, werden feilgeboten. Ich kann mich nicht beherrschen und
kaufe ein paar Stangen Lauch, die mindestens einen Meter lang sind,
weit aus dem Rucksack herausstehen, weil sie gar so knackfrisch
aussehen, dazu Paradeiser und sonstiges Gemuese. Das ist ausserdem gar
nicht schlecht, mit meinen Gemuesesackerln bin ich fuer die Standler
kein unnoetiger Tourist mehr, der nur fotografiert und bloed im Weg
herumsteht, sondern ein Kunde. Diesmal habe ich die richtige Sprache
erwischt.

Der Nachbarstandler, Verkaeufer von Weintrauben, Nuessen und
selbstgebranntem Schnaps, oeffnet eine Flasche seiner fluessigen
Produkte, holt einen kleinen Plastikbecher hervor, fuellt ihn und
reicht ihn mir: "Gezuar!" ("Prost" auf Albanisch). Ein Weinbrand, mild
und aromatisch, nach der Traubensorte schmeckend, aus der er
destilliert wurde, so, wie's sein soll. In Mazedonien scheinen keine
Abgaben auf Schnapsbrennen anzufallen, sodass Selberbrennen ein
Volkssport ist. Gestern habe ich in jedem zweiten Vorgarten grosse
kupferne Destillierkessel in Betrieb gesehen, jeweils umringt von
feuchtfroehlichen Maennerrunden beim Verkosten des noch heissen
Weinbrands.

*Im Nationalmuseum*

Doch jetzt ab ins mazedonische Nationalmuseum - das hat nur mehr vier
Stunden offen, wahrscheinlich ohnehin zu wenig fuer mich, der ich der
Schrecken aller Mit-MuseumsbesucherInnen bin, weil sie immer so lang
warten muessen auf mich. Ich finde Museen total interessant, weil sie
Geschichte anhand von Exponaten und Erklaerungen darstellen, und die
Darstellung von Geschichte ist immer die Legitimation von Herrschaft.
Und die Art dieses Legitimationsrahmens ist meistens mindestens
genauso interessant wie das Dargestellte.

Das Museum, ein zweifluegliger, doppelstoeckiger Plattenbau, wirkt von
aussen voellig verwahrlost, mit zwischen den Steinplatten
hervorspriessenden Bueschen, aber von innen ist es ganz in Ordnung.
Ein Museum halt, gestaltet anhand der museumspaedagogischen Konzepte
der Sechzigerjahre oder so. Also zuerst Jungsteinzeit, dann Bronze-,
Eisenzeit, Klassik, etc., kurz: das Uebliche - Steinklingerln,
Keramik, Spinnwirteln, Bronzebeile, usw., alles in chronologischer
Ordnung in Glaskaesten aufgereiht. Die einzigen Details, die mir
auffallen, zeigen, dass es in der Jungsteinzeit einen Schweinekult
gegeben haben muss, und in der Eisenzeit einen Gaensekult, den
aufgefundenen Tierdarstellungen nach zu urteilen. Byzantinische
Epoche, slawische Besiedlung im 7.Jahrhundert, osmanische Eroberung im
14.Jahrhundert - das Uebliche halt fuer den Balkan.

*Welcome to FYROM!*

Im oberen Stockwerk des Museums die Geschichte Mazedoniens ab 1900:
Viele Dokumente, mit denen ich nur wenig anfangen kann; aber eines
wird anhand der Landkarten klar: Mazedonien hat 1912/13, beim
2.Balkankrieg (das ist der, bei dem die albanisch besiedelten Gebiete
des zerfallenden osmanischen Reichs zum heutigen Albanien
zusammengestutzt wurden, mit der Haelfte der albanischen Bevoelkerung
ausserhalb der Grenzen des neuen Staates) zwei Drittel seines
vorherigen Territoriums verloren (soll heissen: Bis dahin war es
dreimal so gross wie heute), ca. 50% davon an Griechenland, die
restlichen 15% an Bulgarien. Mazedonien hat jahrhundertelang einen
Grossteil des heutigen Nordgriechenland umfasst, inklusive Saloniki
und Chalkidike, und deshalb kann bis heute das Land nach seiner
Unabhaengigwerdung von Exjugoslawien offiziell nicht "Mazedonien"
heissen, weil die Griechen Gebietsansprueche fuerchten, und laeuft so
international aufgrund griechischen Vetos immer noch unter dem
geschwollenen Buchstabenkuerzel "FYROM" ("Former Yugoslav Republic of
Macedonia")...

Die Griechen schauen uebrigens in den Jahren zwischen 1910 und 1920,
also in der Zeit des 1. und 2.Balkankrieges sowie im 1.Weltkrieg,
ueberhaupt nicht gut aus: Die aergsten Genozidverbrechen am Suedbalkan
(gegen die albanische, mazedonische und tuerkischsprachige
Bevoelkerung) gingen auf das Konto griechischer Truppen sowie
irregulaerer Verbaende, die insgesamt sechsstellige Quantitaeten an
Zivilisten massakrierten, womit sie vielleicht sogar die Serben in
ihrem damaligen Wueten gegen die Albaner in den Schatten gestellt
haben.

Die beiden Ausstellungshallen zur Geschichte Mazedoniens im
2.Weltkrieg bieten wieder eine Ueberfuelle an Dokumenten, dazu auch
Vitrinen voll Waffen der Partisanen, Gewehre, die richtig
selbstgeschnitzt aussehen, Fotos von deutschen Greueltaten wie
Massenhinrichtungen von ZivilistInnen auf improvisierten Galgen, und
Aufnahmen der Partisanen: von weissbaertigen Grossvaetern bis zu
jungen Maedchen scheint ein repraesentativer Querschnitt der
Bevoelkerung gegen die deutschen Besatzer gekaempft zu haben - und
mindestens ein Viertel der KaempferInnen muss, den Fotos nach,
weiblich gewesen sein!.

Mit dem 2.Weltkrieg, dem Kampf der Partisanen, endet der historische
Teil des Nationalmuseums. Sind die Tito-Zeit und die zwei Jahrzehnte
danach zu kontroversiell, um sie im Museum darzustellen??

*Ethnographische Abteilung*

Aber es gibt ausser dem archaeologischen und dem historischen Trakt ja
noch einen dritten, den ethnographischen. Ich habe eh nur mehr eine
knappe halbe Stunde Zeit dafuer, bevor das Museum zusperrt. Am Einlass
erkundige ich mich, wo dieser dritte Trakt sei. Eine junge Frau, wohl
nicht viel ueber 30 Jahre alt, von der sich spaeter herausstellen
wird, dass sie eine leitende Funktion im Museum bekleidet, an die ich
mich wende, spricht fliessend Englisch und erklaert sich bereit, mich
hinueberzubringen - sie muesse erst aufsperren. Ich bin wieder einmal
der einzige Besucher heute im Nationalmuseum - ein Zustand, inzwischen
vertraut.

Wir ueberqueren den Hof, und sie bringt mich in einen weiteren
zweistoeckigen, finsteren Museumstrakt. Nachdem sie das Licht
aufgedreht hat, finde ich mich inmitten von etlichen Dutzend
lebensgrossen Kleiderpuppen in Schaukaesten, angetan mit sagenhaft
bunten und praechtigen Gewaendern - eine maerchenhafte Pracht an
textilen Farben und Formen und Schmuck aus zu hunderten aufgefaedelten
Silbermuenzen. Ich bin sehr angetan von der tollen Ausstellung und
komme mit der Frau ins Gespraech. Sie ist ein paar Jahre juenger als
ich, studierte Ethnologin, und hat ebenfalls an Ausgrabungen
mitgearbeitet - eine Kollegin also.

Am Anfang sind wir uns ja einig ueber die tolle mazedonische Folklore.
Als ich aber die Multiethnizitaet und die RELATIV unblutige
Bewaeltigung derselben bisher anspreche, spiesst sich's: Ja,
Mazedonien habe sieben Ethnien, aber die Albaner seien die
primitivste, die seien auf dem sozialen Standard der Mazedonier von
vor 100 Jahren, und es werde 100 Jahre dauern, bis sie auf heutigem
zivilisatorischem Niveau seien. - "Wie bitte??"  Ja, die Albaner
haetten eine Stammesstruktur, die interessierten sich nicht fuer
Bildung, nur fuer Geld, die wuerden von Waffen- und Drogenschmuggel
leben. - Also soviel ich wuesste, gaeb's kein albanischsprachiges
Schulsystem in Mazedonien, und ein albanischer Student der albanischen
Sprache und Literatur hier in Skopje habe mir gegenueber erst gestern
kommentiert, dass er sein Studium des Albanischen AUF MAZEDONISCH
abwickeln muesse, weil es keine albanische Hochschule gaebe. Ihre
Gegenfrage: Ob es in Oesterreich ethnische Minderheiten gebe. Antwort:
Ja, Slowenen und Kroaten. - - Ob die eigene slowenische und kroatische
Hochschulen haetten. Blattschuss: Nein, natuerlich nicht, ausser einem
slowenischen Gymnasium sei mir nichts von hoeheren
Bildungseinrichtungen fuer Minderheiten in Oesterreich bekannt.  "Na
siehst du, also warum sollten "wir" den Albanern Hochschulbildung in
ihrer eigenen Sprache einrichten??" - "Na weil sie ein Drittel der
Bevoelkerung sind, und nicht zwischen 1 und 2%, wie die Slowenen und
Kroaten in Oesterreich!" - "Stimmt nicht, die Albaner in Mazedonien,
das sind nur vier Doerfer entlang der albanischen Grenze!" (Sie zaehlt
die "Doerfer", allesamt groessere Staedte, sogar namentlich auf.) -
"Also soviel ich weiss, sind ein Drittel der Einwohner Mazedoniens
albanischer Muttersprache!" - "Nein, das sind alles Albaner aus
Albanien und aus dem Kosovo, die in den letzten paar Jahren zu uns
heruebergekommen sind, vor allem die albanischen Fluechtlinge aus dem
Kosovo letztes Jahr." - Da kann ich, auf Zahlen gestuetzt,
widersprechen - wir haben die Anzahl der kosovarischen Fluechtlinge,
die sich immer noch in Mazedonien aufhalten, in den letzten Monaten im
Detail erhoben, und das sind nur wenige hundert. - "Doch, die kommen
alle aus Albanien und aus dem Kosovo!" - "Was, die Geschaeftsbesitzer
da drueben im Alten Bazar? Die sprechen doch alle albanisch!"  - "Ja,
die kommen alle von sonstwoher, das sind keine Mazedonier!"

*"Eine Albanerin, aber ganz nett"*
Sinnlos, mit ihr weiterzureden - sie beharrt darauf, dass die
albanischsprachige Bevoelkerung von auswaerts ins Land gekommen sei
(allein schon deshalb ein nachweisbarer Unsinn, weil die ethnisch-
albanisch orientierten Parteien bei den letzten Wahlen auf fast 30%
der Stimmen gekommen sind, und von aussen zugewanderte Menschen waeren
bei mazedonischen Parlamentswahlen nicht stimmberechtigt, weil sie
nicht auf den Waehlerlisten stuenden), und dass sie sich "wie die
Karnickel" (woertlich!) vermehren wuerden, um die Mazedonier in ihrem
eigenen Land zu ueberfremden. ("Mazedonische Familien haben nur ein
oder zwei Kinder, die albanischen haben zehn. In wenigen Jahren werden
wir Fremde im eigenen Land sein!") Ich frage sie, vielleicht etwas
provokant, ob sie glaube, dass alle Albanischsprechenden schlechte
Menschen seien. - "Nein, ALLE nicht - ich habe eine albanische
Studienkollegin gehabt, die war TROTZDEM sehr intelligent und nett!" -
Mir fallen die oesterreichischen Antisemiten ein, von denen jeder als
Nachweis seines Nicht-Antisemitismus "einen juedischen Freund" gehabt
hat, und sogar die Nazis mit ihren individuellen "Schutzjuden" -
vielleicht ein harter Vergleich, aber er bietet sich an. Wenn DAS die
junge Generation in diesem Land ist, die Menschen, die gebildet und
weltoffen genug sein sollen, diesem multiethnischen Land (60%
Mazedonier, 30% Albaner, die restlichen 10% Roma, Tuerken, Vlachen
(eine rumaenischsprachige Minderheit), Juden (laufen hier als
ETHNISCHE und nicht als RELIGIOeSE Minderheit, weil sie - zumindest
teilweise - noch Spaniolisch sprechen, das Spanisch des spaeten
15.Jahrhunderts, als sie aus Suedspanien vertrieben wurden) und
"Muslim Slavs", also sowas Aehnliches wie Bosniaken, eine Zukunft zu
ermoeglichen, dann sehe ich schwarz - mehr noch, ich bin einmal mehr
verwundert, dass es hier bisher noch nicht aerger gekracht hat.

Menschen unterschiedlichster politischer Couleur fuehren das bisherige
Nichtexplodieren von Mazedonien auf die Praesenz der 600  Mann starken
UN-Truppe zurueck, eines symbolischen Kontingents, das als absolutes
Novum in der UN-Geschichte (PRAeVENTIVE Truppenstationierung statt
hinterher grosser Militaereinsatz - kommt unendlich viel billiger, um
nicht vom Nichtverlust an Menschenleben zu reden!) den Grossteil der
90erjahre hier stationiert war - bis vor zwei Jahren: Als die
Stationierung beschlossen wurde, waren die Chinesen im UN-
Sicherheitsrat gerade in einer Trotzphase und nahmen an der Abstimmung
nicht teil, verhinderten somit die Stationierung auch nicht; als aber
1998 die Verlaengerung der Stationierung beschlossen werden sollte,
legten sie ein Veto ein - in Sachen Praezedenzfall, Tibet und so.)

Zwei Dinge vor allem finde ich schockierend: Erstens solche Ansichten
aus dem Munde einer jungen Frau, die Ethnologie studiert hat, sich
somit professionell mit Ethnizitaetsfragen auseinandergesetzt haben
muss (und ich haett einfach automatisch angenommen, dass Kennenlernen
auch dazu angetan waer, Naehe herzustellen - oder zumindest primitive
Klischees zu hinterfragen), und jetzt, als leitende Angestellte des
mazedonischen Nationalmuseums, ja schliesslich fuer ein Museum fuer
ALLE Mazedonier zustaendig ist, und nicht nur fuer "die Ihren", im
Gegensatz zu "den anderen", und zweitens, dass der rassistische
Unsinn, den sie mir erzaehlt hat, genau dasselbe ist, was ich schon
einmal in einem laengeren Gespraech mit einer gutgebildeten jungen
Frau, einer Fremdenfuehrerin mit Universitaetsabschluss, gehoert habe
- damals in Ohrid, einer Region, die mindestens zur Haelfte,
wahrscheinlich sogar mehrheitlich von albanischsprachiger Bevoelkerung
bewohnt ist, sodass man wirklich nicht davon ausgehen kann, die Frau
Fremdenfuehrerin habe in ihrem Leben noch keine albanischsprachigen
Mitbuerger aus der Naehe gesehen und wisse daher nicht, wovon sie
rede.

*Albanische Mazedonier oder mazedonische Albaner?*

Den Studenten gestern habe ich gefragt, ob er sich eigentlich in
erster Linie als MAZEDONIER, wenn auch albanischer Sprache, fuehle
(also ob das primaere Kriterium seiner Selbstzuordnung die
Staatsangehoerigkeit ist und erst das sekundaere die Sprache, so wie
das z. B. bei den Minderheiten in Oesterreich ist, wo sich die
Menschen zuerst einmal als Oesterreicher definieren wuerden und danach
erst als Slowenen oder Kroaten), oder ob er sich als ALBANER IN
MAZEDONIEN verstuende. - Seine Antwort, ohne zu zoegern: Natuerlich
das zweitere. (Unnoetig zu erwaehnen, dass er nicht erst kuerzlich
ueber irgendeine Grenze gekommen ist, sondern dass seine Familie, so
lange die Ueberlieferung zurueckreicht, und das sind Jahrhunderte,
immer schon im Raum Skopje gelebt hat.) - Diese Antwort gestern hat
mich verwundert - heute verstehe ich sie besser: Wenn einem seit zehn
Jahren (so lange besteht die Eigenstaatlichkeit Mazedoniens
inzwischen) der offizielle Diskurs staendig vorhaelt, man gehoere
nicht dazu, man sei hier unerwuenscht, hat man irgendwann auch keinen
Grund mehr, sich dazugehoerig zu fuehlen. Und das ist kein Diskurs nur
auf der theoretischen Ebene, sondern hat handfeste soziale und
wirtschaftliche Auswirkungen, um von den politischen nicht zu reden:
Ich habe einer Statistik entnommen, dass die albanischsprachige
Bevoelkerung, bei einem Anteil von einem Drittel an der
Gesamtbevoelkerung, nur ein Prozent der Staatsangestellten stellt -
nur als Beispiel fuer soziooekonomische Diskriminierung! Was ich mich
heute, beim Niederschreiben, frage, ist nicht mehr das optimistische "
Was kann getan werden, um hier Strukturen zu schaffen, die ALLEN
Menschen das Zusammenwachsen zu EINER Gesellschaft ermoeglichen?",
sondern das sarkastische "Warum hat es hier noch nicht viel aerger
gekracht?" Ob es das abschreckende Beispiel Kosovo ist, was diesen
Staat zusammenhaelt?? Das letzte Beispiel fuer die mangelnde
Zivilisation der Albaner, das die Frau Ethnologin bringt, ist, dass
sie, ganz im Gegensatz zu demn Mazedoniern, ihren Dreck ueberall
hinwuerfen. Ich wage eine Entgegnung: Gestern, bei meiner Wanderung
den Berg hoch, sind mir ueberall die zusammengeknoteten Sackerln,
gefuellt mit Hausmuell, rund um die Haeuser und entlang des Weges den
Berg hoch aufgefallen, und das war eine Stunde Fussmarsch von den
albanischen Vierteln der Stadt entfernt. Erscheint mir doch ein
bisschen unwahrscheinlich, dass die Albaner ihren Dreck extra
kilometerweit herantruegen, um ihn den Mazedoniern zufleiss in "ihrer"
Seite der Stadt wegzuwerfen.... - Meine Gespraechspartnerin goutiert
das Argument nicht - und ausserdem, leider, die Zeit sei abgelaufen,
sie muesse das Museum jetzt schliessen. Aber wir koennten gern das
naechstemal, wenn ich wieder in Skopje sei, weiterdiskutieren. -
Worauf sie sich verlassen kann! Allein schon, weil ich die
ethnographische Abteilung des Museums noch einmal in Ruhe sehen
moechte. Wenn ich mich nicht getaeuscht habe, kommt albanische
Folklore darin nicht vor, wohl aber z.B. eine Vitrine mit der Tracht
der Yueruek, eines zentralanatolischen Nomadenstammes, von dem wenige
hundert Menschen in Suedwestmazedonien gelebt haben - bis sie in den
letzten Jahrzehnten assimiliert wurden. Soviel zu "Darstellung des
Rahmens der Legitimierung von Herrschaftsverhaeltnissen". Ich sag's
ja, im Museum, da lernt man was.

A.J. war fuer die UNO in Albanien und im Kosovo und schilderte
uns bisher in 11 Teilen seine Erlebnisse, zuletzt in akin 28/00 (akin-pd 11.10.2000)

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