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Aussendungszeitpunkt: 3.10.2000; 16:00
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Kapitalismus/Widerstand:

> Ab nach Novosibirsk

Ueber boese Demonstranten, arme Polizisten, objektive Journalisten
und liebe Banker beim IWF/WB-Treffen in Prag

Ich war nicht in Prag. Ich hab das alles nur von der Ferne
beobachtet. Aber wenn man sich da so die Berichte in den
buergerlichen Medien anhoert und -schaut... Also irgendwas stimmt
da nicht. Da waren in Prag 11.000 Polizisten und 2000 Soldaten
zusammengezogen. Nach allen glaubuerdigen Zahlen waren auch bei
der groeszten Demo hoechstens 15000 Leute gegen den IWF auf der
Strasze. Dann berichtet die ja nun nur selten linksradikale
"Presse":  "Die Mehrheit der Demonstranten verhielt sich jedoch
friedlich und versuchte zudem, die Randalierer aus ihren Reihen zu
entfernen. Erklaertes Ziel der Globalisierungsgegner war, den
Tagungsort zu blockieren..." Und dann erklaert der Innenminister
Stanislav Gross -- der im Vorfeld schon staendig den Buergerkrieg
vorhersehen wollte -- im tschechischen Fernsehen, er haette die
"Brutalitaet der Anarchisten" unterschaetzt. Den offiziellen
Berichten duerfen wir dann noch entnehmen, dasz 50 Polizisten
verletzt worden waeren, aber nur 20 Demonstranten.

Glaubt das eigentlich noch irgendwer? Dasz eine gutgeruestete und
ausgebildete Polizeitruppe plus Militaer -- 13000 Mann stark --
gegen ein paar tausend militante Demonstranten so schlecht
dagestanden haette? Noch dazu, wo die hohe Politik nicht den
geringsten Zweifel daran gelassen hatte, dasz Zurueckhaltung nicht
gefragt sei?

Eines weisz man natuerlich, wenn man hie und da auf wilderen
Demonstrationen war: Es werden immer mehr Polizisten als
Demonstranten verletzt. Denn fuer einen Polizisten heiszt auch die
kleinste Abschuerfung Krankenstand, fuer einen Demonstranten
bedeutet jeder Krankenhausbesuch die Gefahr eines Verfahrens wegen
"Widerstands" und dergleichen. Das ist in Prag nicht anders als in
Wien.

Aber es gibt auch andere Zahlen. 859 Festnahmen -- das ist die
Zahl, die die Polizei selbst angibt. Die Buergerrechtsgruppe OPH
spricht von einer wahrscheinlich deutlich groeszeren Zahl.

Und wie wir alle wissen, werden laut Polizei Menschen in
Polizeigewahrsam nicht von Polizisten verletzt. Was INPEG, jene
Initiative, die fuehrend die Proteste in Prag organisierte,
darueber zu berichten weisz, klingt allerdings ein wenig anders.
Denn die Haef'n gingen der tschechischen Polizei ueber. Sie
verteilten die Gefangenen nicht nur ueber ganz Prag, sondern sie
transportierten sie in alle Teile der Republik. Und kuemmerten
sich dort nicht sonderlich um sie. So wurden laut INPEG 30
Menschen in einen Prager Gerichtshof gesperrt und haetten unter
freiem Himmel ohne Decken dort uebernachten muessen -- abgesehen
davon, dasz sie dort nichts zu essen bekommen haetten. Auch vielen
anderen Gefangenen waeren Essen, Trinken, medizinische Hilfe oder
das Recht auf einen Telefonanruf verweigert worden. 22 Menschen
waeren in eine Zelle von 4 Quadratmetern gesperrt worden. Schlaege
waeren in den Gefaengnissen genauso an der Tagesordnung gewesen
wie Entkleidung und Leibesvisitation von Frauen durch maennliche
Exekutivbeamte.

Die Liste der Brutalitaeten ist lang und liest sich nicht
besonders angenehm. INPEG beteuert, das alles auch beweisen zu
koennen.

Das Interesse der hiesigen Journaillie laeszt sich an der
Berichterstattung ablesen. Denen genuegt der Polizeibericht.
Ansonsten beschraenken sie sich darauf, "Sager" zu sammeln, wie
wir sie beispielsweise in der "Presse" lesen durften, wo ein
Polizist zitiert wurde: "Prag hat so etwas zuletzt 1968 erlebt,
als die russischen Panzer hier auffuhren". Dasz sich unter die
Demonstranten auch verkleidete Polizisten gemischt hatten, wurde
zwar von einem BBC-Reporter bemerkt; Journalisten der renommierten
"Lidove Noviny" berichteten davon, einen der Undercover-Polizisten
beim Einschlagen einer Fensterscheibe beobachtet zu haben. Von
unseren hiesigen Berichterstattern aber wurde derlei wieder einmal
wohlweislich ignoriert.

Und wozu das Ganze? Auszer Scherben und Pruegel nichts gewesen?
Ganz so ist es nicht. Denn zwar sind Weltbank und IWF nicht
wirklich bereit, von ihrer Politik abzugehen. Ihre groszartig
angekuendigte Entschuldunginitiative hat seit den 4 Jahren ihres
Bestehens nur aeuszerst vage Fortschritte gezeigt, umfaszt immer
noch nur maximal 20 Laender und gesteht diese Hilfe auch weiterhin
nur unter massiven Eingriffen in die nationalen Gesetzgebungen zu.
Aber die Vorsitzenden der beiden Bretton-Woods-Institutionen,
Koehler und Wolfensohn, wissen jetzt, dasz ihre PR besser werden
musz. IWF-Direktor Horst Koehler habe sich "tief traurig" ueber
die Ausschreitungen gezeigt, so der "Standard". Denn die
Entschuldung der armen Laender waere ja auch im Sinne von IWF und
Weltbank. Aber es haette "Maengel bei der Vermittlung der Politik
des IWF" gegeben, zitiert die dpa die beiden Manager. Und Koehler
formuliert auch seine Wunschvorstellung: "Damit die Globalisierung
allen zu Gute kommt, muessen wir uns fuer gewisse moralische
Standards einsetzen, eine Weltethik" -- ein Schelm, wer dabei an
das beruehmte Zitat von Ulrike Meinhoff denkt, dasz wir zwar nicht
in der Lage sind, sie dazu zu zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber
doch wohl dazu, immer dreister zu luegen.

Der Protest hat sicher einiges gebracht. Diese Riesentreffen --
rund 14.000 Delegierte aus Politik und Kapital waren angereist --
sind wichtig, um den persoenlichen Kontakt der Herren dieser Welt
aufrecht zu halten. Wenn sie es dabei ein bisserl ungemuetlich
haben, ist das schon recht erfreulich. Nach Seattle, Washington,
Melbourne und Prag ueberlegen sie schon sehr heftig, ob man derlei
vielleicht nicht doch ins Internet uebertragen koenne. Doch
Wolfensohn und Koehler sind sich einig, dasz dies nicht den
"persoenlichen Kontakt" ersetzen koenne. Was sie vielleicht auf
Tagungsorte wie Novosibirsk oder irgendeine Oase in der Sahara
verfallen lassen koennte, um einigermaszen ungestoert zu sein.

Barbara Coudenhove schreibt in einem "Presse"-Kommentar: "Aber
haetten sich die Instutionen veraendert, wenn sie nicht von auszen
dazu genoetigt worden waeren?" Bis auf die Verwendung der
Vergangenheitsform ist ihr da zuzustimmen. Viel hat sich ja noch
nicht gerade geaendert. Aber wenn sich doch was aendern sollte,
dann wird das sicher nur passieren, wenn man diese Institutionen
noch ein bisserl mehr noetigt. Ganz gewaltfrei, versteht sich...

Bernhard Redl

Quellen: Presse, Standard, Sueddeutsche, dpa, IPS, ORF, INPEG,
Postmark Prague, Indymedia

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> Soliaktionen

Die meisten Gefangenen von Prag duerften mittlerweile frei sein.
Dennoch ist es sicherlich nicht schlecht, sich bei den
entsprechenden Behoerden nach dem Schicksal der uebrigen
Festgehaltenen resp. nach den Uebergriffsvorwuerfen zu erkundigen:
Tschechische Botschaft, 1140 Penzingerstrasse 11-13, tel. 894 37
4, fax. 894 12 00;  Staendige Vertretung und OSZE-Delegation der
tschechischen Republik, tel. 894 29 33, fax. 894 57 98; Residenz
des tschechischen Botschafters, 1170, Pointengasse 46-48, tel. 480
68 59; sowie fuer Tschechisch-Sprachige: Polizeistation Prag 4,
Svtoslavova 10, tel 0042 02 6925055; Polizeistation Prag 2,
Vyshradska 20; die zentrale Polizeiauskunft 0042 02 61421111;
Staatspraesidenten Vaclav Havel tel 0042 02 243 10 851

Spendenkonto fuer die tschechische Rechtshilfe (Verwendungszweck
angeben): BLZ 14 000, KtNr 018 100 874 35
(fremde@klingt.org/MUND/bearb.)

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Ein Beispiel von vielen

Folgender Bericht erreichte uns via "MUND" von gotos26@gmx.net:

>> Eine aktivistin aus wien wurde in prag schwer verletzt. Sie wurde
am 26.9. in der naehe des kongress zentrums verhaftet. Sie war
dabei die sambagruppe/sektor rosa zu filmen und wurde dabei von
"anti"-riotpolicemen (sondereinsatzgruppe der polizei) gepruegelt
und verhaftet. Sie versuchte den bullen zu erklaeren, dass sie
alleine sei und es kein problem gaebe. Mit einem polizeiauto wurde
sie zum gefaengnis gebracht und mit anderen frauen in eine zelle
gesperrt. C. wurde von der polizei verpruegelt bis sie nur noch
violette punkte sah und die naechsten 12 stunden bewusztlos war.
Sie erlitt eine schwere gehirnerschuetterung. Bis zum 28.9. wurde
den verhafteten frauen weder wasser noch essen gegeben. Die
aerztliche versorgung, ein telefonat (gesetzlicher anspruch auftel. gibt es in
tschechien) sowie die bekanntgabe der
dienstnummern wurden verweigert.

nach ca. 30 stunden wurde den frauen gesagt, dass sie fuer 500
kronen freigelassen werden. obwohl dieses vorgehen der polizei
nicht legal ist, beschlossen die frauen den betrag zu bezahlen.
Freigelassen wurden sie jedoch nicht. Frauen, die sich gegen diese
behandlung zur wehr setzten, wurden mit handschellen an die baenke
oder die waende der zelle gefesselt. Die polizisten bedrohten die
frauen mit pfefferspray und sexualisierter gewalt.

C. versuchte einem der bullen die dienstnummer runterzureissen und
zerschnitt sich dabei zwei finger bis zum knochen. Mit dem blut
schrieben die frauen die dienstummern der polizisten, die sie
erkennen konnten, an die waende. Erst daraufhin wurde C. ins
polizeispital gebracht.

C. wurde spaeter von der polizei verhoert und sprang dabei aus
angst durchs das fenster im zweiten stock. Dabei brach sie sich
ein bein und die huefte.

im spital erhielt sie keine schmerzmittel. Wenn sie zu lange
schrie, wurde an ihrem gebrochenen bein geruettelt.

Vom innenministerium wurde einen nachrichtensperre ueber c.
verhaengt. Bei einer behandlung gelang es c., einem arzt das handy
zu klauen und damit die notfallnummer zu verstaendigen. Dadurch
und durch den anruf einer beherzten unbekannten frau wurde es
moeglich, zu erfahren wo sich c. befindet. Trotzdem wurden weitere
12 stunden und die mithilfe der oertlichen rechtshilfe, deren
anwalt und dem generalkonsul von oesterreich benoetigt, um sie
besuchen zu koennen.

C. wird noch immer festgehalten und darf nur ausreisen wenn sie
ein geloebnis unterschreibt, zur verhandlung in prag zu
erscheinen. Im augenblick wird ihr widerstand gegen die
staatsgewalt vorgeworfen. Jetzt soll c. so schnell wie moeglich
aus tschechien rausgebracht werden. dafuer sind ca. 20.000 oeS
noetig. << (28.9.2000)

Weitere Infos hoffentlich bald unter www.no-racism.net/s26. Die
betroffene Frau sollte nach letzten Meldungen bereits nach
Oesterreich ueberstellt worden sein. Leider fehlten uns darueber
zu Redaktionsschlusz weitere Informationen, da man eine eMail-
Adresse zwecks Recherche nunmal leider nicht anrufen kann.

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Das Letzte

(aus der Sueddeutschen Zeitung, Samstag, 30. September 2000):
 

Prags Opposition schieszt zurueck

Vizechef der ODS plaediert fuer Pistoleneinsatz gegen
Demonstranten

Der Mann kann Blut sehen. Von Beruf ist der Tscheche Miroslav
Macek Zahnarzt, berufen fuehlt sich der wichtige Prager
Oppositionspolitiker zum Verfechter von Law-and-Order.
"Wildgewordene Mistviecher", nennt Macek die Demonstranten aus
aller Welt, die am Dienstag in Prag zum Teil gewaltsam gegen
Internationalen Waehrungsfonds (IWF) und Weltbank protestierten.
Viel zu lasch sei die Polizei mit den Globalisierungsgegnern
umgesprungen, findet der Vizechef der Demokratischen Buergerpartei
(ODS) von Ex-Ministerpraesident Vaclav Klaus. Und verkuendet auf
seiner Internet-Seite auch, was sie eigentlich haette tun sollen:
"Ich bin davon ueberzeugt, dass tobende Schlaegertrupps wie auf
dem Wenzelsplatz und anderswo nur noch wilder werden, wenn nicht
auf sie geschossen wird. "

"Eine gute Loesung" waere auch gewesen, meint der einstige Vize-
Premier, eine "Nationalgarde aus Freiwilligen zu bilden, die den
Mistviechern die ueberragende Mehrheitsmeinung in diesem Staat
vorfuehrt. " Der sozialdemokratische Innenminister Stanislav Gross
habe der Polizei mit dem "konfliktscheuen" Befehl die Haende
gebunden, die "Polizei duerfe keinen Anlass zur Beschwerde geben".

Beim von Macek als so "konfliktscheu" beklagten Einsatz kamen
freilich Wasserwerfer, Traenengas und Schlagstoecke zum Einsatz;
jeweils mehr als 60 Polizisten und Demonstranten wurden verletzt
und fast 900 Personen festgenommen. Die "Buergerliche
Rechtsaufsicht", eine private Initiative, kritisierte das ihrer
Ansicht nach zum Teil uebertrieben harte Vorgehen der Polizei.

Am Dienstag waren etwa 12 000 Globalisierungsgegner aus ganz
Europa, vor allem aus Italien, Spanien und Deutschland, durch die
tschechische Hauptstadt gezogen, um gegen die Jahrestagung von IWF
und Weltbank zu demonstrieren. Beim Versuch, zum Konferenzzentrum
vorzudringen, kam es zu Schlachtszenen mit der Polizei. Eine
gewaltbereite Minderheit bewarf Polizisten mit Pflastersteinen und
anderen Gegenstaenden. Autonome demolierten auf dem Wenzelsplatz
amerikanische Schnellrestaurants, Banken und andere Geschaefte.
Nur 7,7 Prozent der Tschechen fordern nun einer Umfrage zufolge
Gefaengnisstrafen fuer die Taeter. Ein anderer Vorschlag erhielt
mit 42,6 Prozent viel mehr Zustimmung: Die Taeter sollen den
Schaden abarbeiten. Daniel Broessler
 

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