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Aussendungszeitpunkt: 19.9.2000; 17:30
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Demokratie/Debatte:

Elitaere Einmischung -- warum nicht?

Ueber die Aufhebung der "Sanktionen" wurde ueberall heftig diskutiert. Natuerlich auch
bei uns, wobei die - meiner Ansicht nach - interessanteste Meinung hier kurz nachvollzogen
wird. Darin geht es um Demokratie, Demokratieentwicklung und deren Grenzen. Ausgangspunkt
dabei ist, dasz die Einmischung der EU in die demokratischen Strukturen und
Vollzugsmasznahmen eines anderen Landes eine Entmuendigung dieser Wahlbevoelkerung darstelle,
die eben so und nicht anders gewaehlt habe. Erschwerend komme hinzu, dasz sich die FP ihre 52
Mandate in - wie soll ich's sagen - durchschnittlich eher schlichten und geistig manchmal
etwas traegen Bevoelkerungsschichtem geholt hat. Es sei fast unertraeglich elitaer, diese nicht
ernstzunehmen, denn sie wuerden ohnedies ueberall und von jedem verarscht. Wie gesagt, eine
interessante Meinung.

In der Tat, warum sollen die mehr oder weniger von Haider Begeisterten nicht das Recht haben,
die FP zu waehlen, wenn sie Haider wollen? Zumal sie von sich selbst durchgehend die zweifellos
wohltuende Ansicht haben, selbst zu den Anstaendigen und Fleiszigen des Landes zu gehoeren, die
allerdings vor Sozialschmarotzern, sonstigen Parasiten und Staatsfeinden wie den Links-Linken
und vor allem den Hunnenhorden von marodierenden Auslaendern geschuetzt werden muessen.
Noch dazu habe sich die SP gerade im Zuge des Neoliberalismus von ihrer urspruenglichen
Klientel auf der nicht endenwollenden Suche nach dem Mittelstand vertschueszt und dadurch eben
das fruchtbare Terrain der FP ueberlassen. Man brauche sich nicht wundern, dasz diese Leute
dann so waehlen, und diese Entscheidung muesse man dann halt akzeptieren, auch wenn's einem
nicht paszt.

Dieser Einschaetzung der Sachlage wuerd' ich ebenfalls ohne weiteres sofort zustimmen, wenn wir
in Oesterreich eine moderne Demokratieentwicklung auf dem Stand des 21. Jahrhunderts und
freie Medien haetten. Dies haben wir alles nicht, oder zumindest nur in aeuszerst eingeschraenktem
Rahmen. Die Demokratie selbst wird bei uns keinesfalls ernstgenommen. Auch wenn`s
unertraeglich elitaer oder sonst wie klingt: fuer den Betrieb jedes Wuerstelstandes ist ein ganzes
Kontingent von Konzessionen und Magistratsabteilungen erforderlich, wohingegen wirklich jeder
Dodel ohne Problem waehlen gehen kann, sofern er nur ein oesterreichischer Dodel ab einem
gewissen Alter ist. Auf Fuehrerscheinbedingungen uebersetzt: Wenn jemand 18 ist, wird er einfach
ins Auto gesetzt und mit den Worten losgeschickt: "Jetzt fahr', irgendwo wirst du ja in der
Kronenzeitung was ueber Autofahren gelesen haben!" Ist Autofahren wirklich wichtiger als
das politische System und die vielbeschworene Zukunft eines Landes?

Ja sicher, werden einige meinen, denn mit dem Auto kann man immerhin andere und im besten
Falle noch sich selbst ins Jenseits katapultieren. Wohingegen es bei Wahlen eh nur um die
Schicksale von Millionen Menschen in einem Land und um die Zukunft des Staates selbst geht.
Um kein Miszverstaendnis hervorzurufen, keinesfalls moechte ich damit ausdruecken, die
Wahlberechtigung duerfe nur mindestens ab Maturaniveau erteilt werden. Es geht mir schlicht und
einfach um die dringend erforderliche Integration von einem Mindestmasz an unabhaengiger
politischer Bildung als Voraussetzung fuer etwaige Wahlen, die nicht ausschlieszlich nur von der

Krone verabreicht wird.

Es scheint es mir unter den derzeitigen Bedingungen nicht gerade opportun, auf eine Besserung
der Zustaende zu warten, die sich schon irgendwie durch innere Einkehr oder sonst was ergeben
wuerde. Auch wenn es wieder entmuendigend klingt, eine autoritaetsfixierte Gesellschaft pflegt nun
mal auf Autoritaeten zu hoeren. Ein politisches Instrumentarium - wie auch immer es
zustandekommt - koennte ein aus Kuenstlern, Wissenschaftlern und Experten zusammengesetzer
oesterreichischer Weisenrat oder eine Watch-Group sein - und mueszte naheliegenderweise mittels
auszerparlamentarischer Initiativen zustandekommen. Es sollte eine eingesetzte Fuehrungscrew im
Rotationsprinzip geben, die als Mediensprachrohr im In- und Ausland dient und so einer
Fragmentierung und Zersplitterung der Gegengesellschaft entgegensteuern koennte. Gleichzeitig
wuerde sich durch die dann focussierte mediale Aufarbeitung eine Normenvertiefung im
gewuenschten Sinne ergeben. Ich weisz, es klingt alles etwas zynisch und nach politischem Kalkuel.
Aber solange es weder demokratische Zustaende gibt, noch ein Zusperren der Krone in baldiger
Aussicht ist, find' ich elitaere Ansaetze - wie z.B. eben die Handlungsweisen der EU-14 oder ein
medienpolitisch agierendes Sammelsurium von Autoritaeten ganz in Ordnung. Demokratie von
unten kann ja spaeter stattfinden.

Fritz Pletzl
 

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> Josefinismus 2000
Eine spontane Antwort

Eigentlich wuerden wir ja am liebsten alle unter Kuratel stellen, die da auf der Strasze rumlaufen
und die Kronen-Zeitung lesen. Die sind ja einfach nicht reif fuer die Demokratie. Sicher, sie sind
es nicht. Aber warum sind sie es nicht? Weil der oesterreichische Staat - entstanden aus einem
patriarchalen System, so wie die meisten anderen auch - in der Form seiner Funktionstraeger
der Meinung ist, dasz sie dazu nicht reif sind. Ein kleines Kind, dem man ewig sagt, es sei noch
zu klein und Papa und Mama wuerden das schon machen, hat zwei Moeglichkeiten: Entweder Papa
und Mama machen zu lassen und immer ein kleines Kind bleiben. Oder Papa und Mama die
Fensterscheiben einzuschlagen und/oder den Hund zu quaelen - und auch ein kleines Kind zu
bleiben.

Ja, sicher, es gibt immer einen guten Grund, gerade jetzt "den Mann von der
Strasze" nicht ernst zu nehmen. Die politische Klasse hat sowieso kein Interesse daran. Fuer
die ist das Wahlvolk Manoevriermasse. Es geht um Stimmenfang und sonst um gar nichts. Will
man politisch selbstbewuszte und handlungsfaehige Menschen, dann darf man sie nicht wie
Vollidioten behandeln, sondern wie selbstbewuszte und handlungsfaehige Menschen.
Wenn Fritz uns eine Expertenkommission vorschlaegt, dann spricht da ein eintrainiertes, aber
durch nichts zu rechtfertigendes Vertrauen in akademische Institutionen heraus: Denn diese
Kommissionen, die haben wir ja schon alle. Es sind jene Kommissionen und Behoerden und
Gerichte - vollbesetzt mit machtabhaengigen Akademikern - die ueber Pressefoerderung,
Kulturprojekte, Mediengesetze, Verfassungsbestimmungen entscheiden. Genau diese
Expertenclique entscheidet seit Jahrhunderten darueber, was uns gut tut - und das ist dabei
rausgekommen. Natuerlich gibt es sie, die kritischen, demokratischen Wissenschafter - aber
verdammt nochmal, welche Moeglichkeiten haben die? Die kommen nicht in jene Bereiche, wo
wirklich ueber die Mittel zur Veraenderung des politischen Klimas entschieden wird. Und wenn das
einmal aus Versehen doch noch passiert, dann werden sie ganz schnell - in Oesterreich kann
man das wahrscheinlich noch besser als anderswo - derartig mit Umarmungen und
Verbindlichkeiten und Gefaelligkeiten eingesponnen, dasz sie ganz schnell ganz anders
funktionieren. Sollte auch das nicht hinhauen, benutzt man sie als demokratisches
Aushaengeschild, das halt leider, leider keine Mehrheit in einer Kommission bekommen hat. Und
sollte nicht einmal das klappen, schmeiszt man die Unbequemen halt einfach raus. Das gibt
allerhoechstens ein Notizerl im Profil oder im Standard und in zwei Wochen kraeht kein Hahn mehr
danach. Der oesterreichische buerokratische Apparat hat einfach eine zu gute Verdauung!
Auszerdem heiszt diese Idee der Expertenkommission, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
Soll unseren "KronenzeitungsleserInnen" eine Obrigkeit die Obrigkeitshoerigkeit
austreiben? Wie soll denn das funktionieren? Wo sie doch von Eltern, Lehrern, Vorgesetzten,
Ehemaennern und dem Pfarrer noch nie was anderes gehoert haben. Wo Widerstand immer nur
boes war und moeglichst frueh gebrochen werden muszte. Mit der "gesunden Watschn"
und aehnlichem.

Wenn Fritz sich aber vorstellt, diese ExpertInnen moegen in der Art von MediatorInnen
"objektiv" politisches Bewusztsein vermitteln und dabei eben "vermitteln",
moderieren, so wuerde das gleichberechtigte PartnerInnen voraussetzen. Hamma nicht. Waehler
und Gewaehlte sind in diesem Land hoechst selten gleichberechtigt.

Ilse Grusch & Bernhard Redl
 
 
 
 

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