**************************************************************************
akin-Pressedienst. *
Elektronische Teilwiedergabe der *
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. *
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch mit den in der *
Papierausgabe veroeffentlichten sein. *
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. *
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der *
Verantwortung der VerfasserInnen. *
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt *
nichts ueber eine anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. *
**************************************************************************
Aussendezeitpunkt: Di, 21.12.99, 15:37 *
**************************************************************************

Weltwirtschaft:

> Der Mythos WTO

Kritik einer Daemonisierung

Die WTO war in den letzten Wochen nicht zuletzt dank
beispielgebender Proteste in allen Medien sehr praesent. Doch die
Kritik am GATT- und WTO-Prozesz fuehrte auch zu einer politischen
Hysterie, wie wir sie schon ansatzweise bei den gescheiterten MAI-
Verhandlungen erlebt haben. Ploetzlich und mit wenig
Hintergrundwissen sahen sich viele Gruppen genoetigt, Proteste zu
lancieren, ohne sich wirklich mit der Problematik zu
beschaeftigen.

Tatsaechlich ist bei der Fuelle und Widerspruechlichkeit des
Primaermaterials und der Auswirkungen der Vertraege kaum eine
eindeutige und einigermaszen unangreifbare Aussage zu taetigen.
Selbst bei banalsten Feststellungen ueber die Organisation ist
unter allen Theoretikern keine Einigkeit zu erreichen -- zu sehr
sind deren Aussagen gefaerbt auf Grund ihrer unterschiedlichen
Intentionen, sich mit dem Thema zu beschaeftigen. Das darf aber
nicht dazu fuehren, sich in die Vereinfachung zu fluechten. Ein
komplexes Geschehen bedarf eines ausfuehrlichen Diskurses um einem
qualifizierten Verstaendnis nahezukommen.

Mir geriet ein sehr kurzgefasztes Flugblatt der Innsbrucker
"Jugendorganisation Marabou" in die Hand, das in vier Behauptungen
unbeabsichtigterweise einen Gutteil der Miszverstaendnisse
zusammenfaszt. Es ist ein schoenes Beispiel fuer viele in letzter
Zeit aufgetauchten Publikationen und deswegen moechte ich mich
naeher damit befassen. Denn was da drin steht, ist nicht voellig
falsch. In seiner Verkuerztheit ist es aber im volksbildnerischen
Sinne nicht ganz ungefaehrlich, da irrefuehrend. Ich bin mir
bewuszt, wie angreifbar auch meine Vorstellungen zur derzeitigen
Weltwirtschaftspolitik im allgemeinen und zur WTO im speziellen
sind. Dennoch will ich im folgenden durch Zitate aus dem Flugblatt
und meinen Kommentaren versuchen, eine differenziertere Debatte
voranzutreiben:



Behauptung 1: "Die WTO wurde gegruendet, um Arbeitsstandards und
Umweltschutzregelungen weltweit zu vereinheitlichen und die
nationale Souveraenitaet aufzuheben."

Das ist das Hauptmiszverstaendnis. Eine Einschraenkung der
nationalen Souveraenitaet war sicher beabsichtigt -- das ist bei
jedem voelkerrechtlichen Vertrag so und nicht immer unbedingt
abzulehnen. Und die WTO koennte zwar wohl den Effekt zeitigen,
dasz diese Standards nach unten vereinheitlicht werden -- und auch
kein unerwuenschter fuer das Kapital. Das ist aber nicht
ursaechlich fuer die Gruendung der WTO gewesen. Diese wurde
naemlich als Nachfolge- oder besser Ausbauorganisation des GATT
begruendet. Die Verhandlungsrunden des GATT dienten genausowie die
jetzige WTO-Runde der Aufhebung nationaler
Wirtschaftsbeschraenkungen und aehnlichen Globalisierungshemmern
(Zollschranken, Niederlassungshemmnissen, Mengenbeschraenkungen,
Einschraenkungen von Kapitaltransfers, Nichtanerkennung
patentrechtlicher Bestimmungen etc.). Derlei protektionistische
Masznahmen waren vor allem zum Schutz des eigenen Marktes bestimmt
und im Interesse der nationalen Unternehmerlobbies. Sie waren
weder Folge des "Small is beautiful"-Gedankens noch einer
"antiglobalistischen" Philantropie noch Interesse am Schutz von
Arbeitsstandards oder Umweltschutzregelungen. Der aus Zeiten
ernsthafter nationaler nationaloekonomischer Ueberlegungen
stammende Protektionismus war und ist aber den mittlerweile eben
heute kaum mehr national gebundenen Konzernen einfach nur im Weg.



Behauptung 2: "In der Praxis setzen ausschlieszlich die EU, USA,
Japan und Kanada ihre Positionen durch."

Das Miszverstaendnis setzt sich hier fort. Denn was ist mit "EU,
USA, Japan und Kanada" gemeint: Die Regierungen, die nationalen
Unternehmen oder die Bevoelkerung? Der obzitierte Satz
verschleiert naemlich die Existenz der relevantesten Teilnehmer an
diesem Spiel: Die multinationalen Konzerne. Denn frueher konnte
man von einen deutschen, einem franzoesischen, einem US-
amerikanischen Konzern sprechen. Heute ist das in vielen Faellen
schon voellig unangebracht und in Zukunft werden wir vielleicht
umgekehrt von microsoftischen oder mercedes-chrysligen Staaten
sprechen. Diese mittlerweile national ungebundenen Konzerne setzen
ihre Positionen durch. Die politische Klasse der Industriestaaten
ist hingegen voellig gelaehmt. Einerseits koennen sie nicht die
hohen oekonomischen Standards in ihren Staaten riskieren.
Andererseits sind sie von den Groszunternehmer-Lobbies abhaengig:
Deren Interessen sind allerdings auch etwas zwiespaeltig. Am
liebsten waere ihnen die Fortschreibung des klassischen Nord-Sued-
Gefaelles: Teure Absatzmaerkte mit hoher Kaufkraft in der einen
Weltregion und billige Loehne in der anderen. (Wobei die
vorgesehene Rolle der Schwellenlaender, deren Arbeits- und
Absatzmarkt gleichermaszen die Begierden des Kapitals weckt, noch
ungeklaert ist. Das Dilemma mit diesen Staaten -- v.a. interessant
China und Indien -- zeigt sehr deutlich die Interessenskonflikte
innerhalb des Kapitals, aber auch die Grenzen des Kapitalismus:
Geringe Loehne fuehren zu geringer Kaufkraft. Loesbar ist das fuer
das oligopole Kapital nur durch innergesellschaftlichen
Differenzierungen, wenn in einem Staat einerseits ein Absatzmarkt
fuer Gutverdienende und andererseits ein billige Arbeitsmarkt fuer
Minderqualifizierte geschaffen wird. Das allerdings fuehrt zu
sozialen Spannungen auf kleinem Raum, was vielleicht im Sinne des
Waffenhandels ist, die meisten anderen Branchen aber kaum freuen
wird.)

Die Einteilung in Billigproduktionslaender und von diesen
profitierenden reichen Konsumstaaten funktioniert aber nur
solange, solange die alte Technik: Rohstoffe und Halbfertigwaren
importieren und Fertigprodukte exportieren von den reichen Staaten
aufrecht erhalten wird, sie also der Bezeichnung
"Industriestaaten" einigermaszen gerecht werden. Mittlerweile
wurde aber zum Beispiel der Computerbereich Hard- und Software in
Indien schon soweit vorangetrieben, dasz dieser Standort auch fuer
Hightech-Industrie schon enorme Wettbewerbsfaehigkeit hat. Denn
ein indischer Programmierer verdient zwar sehr viel mehr als ein
dortiger Wollweber, kommt aber noch immer sehr viel billiger als
sein gleich qualifizierter US-Kollege und spricht dank der
frueheren Kolonialherren vielleicht sogar besser Englisch als
dieser; von seinem mitteleuropaeischen Konkurrenten gar nicht mal
zu reden.

Die Potentaten von Entwicklungslaendern wiederum haben gar kein
Interesse an hohen Umwelt- und Sozialstandards. Denn die
politische Klasse profitiert zwar legaler oder illegalerweise von
den Investitionen groszer Konzerne, ist aber von den geringen
Standards nur peripher betroffen. Auch von ihnen koennen ja
Proteste im eigenen Land mit dem Standortargument niedergeschlagen
werden.

In den 70er- und 80er-Jahren war noch eine gewisse
Investitionsunsicherheit gegeben. In den Staaten Afrikas und
Lateinamerikas wurden oekonomische Experimente gestartet, die zu
einer gewissen Unberechenbarkeit dieser Staaten fuehrte. Versuche,
die wirtschaftliche Hegemonie der Industriestaaten zu brechen,
wurden bekanntlich vor allem von den USA und Suedafrika mit recht
rueden Mitteln bekaempft: Diese hieszen Contras, RENAMO, UNITA
oder Pinochet.

Die Desillusionierung durch die Muehen dieser Kriege und das
Wegbrechen der -- immer etwas problematischen -- sowjetischen
Buendnispartner machten diese Experimente zunichte. Die
militaerischen Hilfstruppen und Juntas wurden unnotwendig und
wurden von servilen kapitalfreundlichen Regimen abgeloest, die mit
Hilfe der Westmaechte die Staaten befrieden konnten um den Preis
der oekonomischen Willfaehrigkeit. Was durchaus im Interesse der
Wirtschaftslobbies war, denn es liesz sich zwar trefflich mit
einem Pinochet wirtschaften, aber die Stabilitaet dieser Regime
war auf die Dauer doch unsicher.

Das Interesse der Regierungen der Industriestaaten hingegen liegt
nicht nur darin, ihre legale und illegale Unterstuetzung durch das
Kapital nicht zu verlieren, sondern auch die Akzeptanz ihrer
Politik in ihren Laendern zu sichern. So drohte Bill Clinton
kuerzlich den Entwicklungslaendern damit, Sanktionen zu
verhaengen, wenn von diesen nicht rechtliche Masznahmen ergriffen
werden, um die Kinderarbeit zurueckzudraengen. Das koennte man als
Lippenbekenntnis abtun, tatsaechlich aber ist eine ansonsten durch
den Standortwettbewerb auf den Stand vieler Entwicklungslaender
dereguliertes Arbeitsrecht in den Industriestaaten fuer deren
Regierungen kaum wuenschenswert. Den Entwicklungslaendern bleibt
aber bei ihrer prekaeren oekonomischen Situation kaum Spielraum.
In diesem Zusammenhang ist auch die Ankuendigung der britischen
Regierung zu sehen, ihre Schuldforderungen gegen die
Entwicklungsstaaten zu streichen.



Behauptung 3: "Die WTO ist in der Lage der Welt ihren Willen
aufzuzwaengen."

Das stimmt nur sehr mittelbar: Die WTO kann gar niemand etwas
aufzwingen. Zwar kann sie durch ihre Gerichte entscheiden, was
ihren Satzungen entspricht und was nicht. Die Satzungen aber
machen immer noch die beteiligten Staaten -- und die sind wie oben
beschrieben im Zwiespalt zwischen Kapitalabhaengigkeit und
sozialem Frieden. Die WTO ist ein Instrument, kaum aber ein
Akteur. Die Kritik an der WTO musz sein wie die Kritik am
Waffenhandel: Wer Mordinstrumente produziert, forciert ihre
Anwendung.



Behauptung 4: "Ihr maechtigstes Instrument: Handelssanktionen."

Genau genommen kann das die WTO nicht. Sie hat zwar die
Moeglichkeit Staaten zu Strafzahlungen zu verdonnern, aber
Handelssanktionen kann sie nicht verhaengen. Dazu mueszte sie eine
unmittelbare legislative Kompetenz ueber ihre Mitglieder haben --
was nicht der Fall ist. Sie kann lediglich einem Staat das Recht
einraeumen, jene Handelsbeschraenkungen zu erlassen, die ohne WTO
dieser sowieso -- ohne irgendjemanden fragen zu muessen --
eingefuehrt haette.

Die Mitgliedschaft in der WTO und das Einhalten der Bestimmungen
sind das eigentliche Druckmittel. Ein Staat, der nicht Mitglied
der Organisation ist oder sich an Schiedssprueche der WTO nicht
haelt, verliert sein Recht auf die Meistbeguenstigungsklausel und
bueszt damit "Standortqualitaet" ein (was man allerdings als
"Sanktion" verstehen kann). Das Problem bei der WTO ist, dasz, je
mehr Staaten Mitglied dabei sind, desto mehr Nachteile ergeben
sich fuer ein Nichtmitglied. Dazu kommt, dasz eine Volkswirtschaft
der USA es sich natuerlich trotz WTO leisten kann, auch
"illegalerweise" einen Staat zu boykottieren -- zb. Cuba -- oder
auch die erwaehnten Sanktionen gegen die Entwicklungslaender zu
verhaengen, ohne sich selbst vor Sanktionen der anderen fuerchten
zu muessen.

Haette die WTO echte Sanktionsmoeglichkeiten und mueszten sich
alle Mitgliedsstaaten daran halten und waeren die WTO-Gerichte
tatsaechlich unabhaengig von politischer Einflusznahme, waere die
WTO das geringere Problem. Wuerde es dann auch noch gelingen,
Umwelt- und Sozialstandards vorrangig in der WTO-Satzung zu
verankern, so waere die WTO sogar ein sehr wichtiges und
begrueszenswertes Instrument -- nur spielen sie das halt leider
nicht...

Die WTO als Instrument, Handelskriege zu unterbinden oder
zumindest auf eine rechtliche Basis zu stellen ist sicher mit der
UNO resp. dem Weltsicherheitsrat im militaerischen Bereich zu
vergleichen. Sie entscheidet, ob handelspolitische Masznahmen
rechtens sind oder nicht. Ob sich dann jemand an dieses Recht
haelt oder nicht, ist aber eine Frage, die damit immer noch nicht
entschieden ist, sondern von den jeweils geltenden
wirtschaftlichen und politischen Parametern abhaengt.

(In einem gewissen Gegensatz uebrigens zum Europaeischen
Gerichtshof, dessen Urteile aufgrund des hochintegrierten EU-
Marktes sehr viel unmittelbarer wirksam werden. Aehnliches gilt
auch fuer das gescheiterte MAI, dasz eine unmittelbare
Gerichtsbarkeit beanspruchte, d.h. dasz die MAI-Urteile
unmittelbar von nationalen Exekutiven durchzufuehren gewesen
waeren resp. nationale Gerichte nach den Richtlinien des MAI zu
entscheiden gehabt haetten. Aber auch hier gilt natuerlich, dasz
die nationale Exekutivmacht diese Urteile ignorieren koennte, wenn
sie der Meinung waere, dies sich leisten zu koennen.)

Die WTO ist vor allem in ihrer propagandistischen Wirkung
innerhalb der politischen Klasse interessant, d.h. sie schafft das
ideologische Fundament fuer die Globalisierung, das darauf
abzielt, den Schutz regionaler Maerkte zu zerstoeren und darauf
verweist, dasz "die unsichtbare Hand" der Wettbewerbswirtschaft
die oekonomischen Bedingungen zum Wohl aller regeln wuerde.

Natuerlich ist es leichter, die WTO als das Boese der Welt zu
charakterisieren und es erscheint auch propagandistisch opportun,
da die multinationalen Konzerne kein Gesicht und auch kaum mehr
festmachbare Orte ihrer Macht haben. Der Fokus auf die WTO-
Konferenz in Seattle war als Event und Fanal wahrscheinlich sehr
notwendig. Wir muessen uns aber klar werden, dasz die WTO nicht
wirklich die Festung ist, die es zu zerstoeren gilt. Was
anzugreifen ist, sind die Oligopole des Kapitals. Den
Industriestaaten -- also unseren Regierungen oder noch besser
gesagt: der hiesigen politischen Klasse -- hingegen werden wir
klarmachen muessen, dasz sie sich ein bisserl mehr einerseits fuer
die oekonomischen Grundlagen der Menschen in den
Entwicklungslaendern und andererseits um die Zurueckdraengung des
Einflusses der Konzerne und Kartelle kuemmern muessen. Freiwillig
werden sie das nicht tun. Hier liegt der Ansatz fuer die
politische Aktion. *Bernhard Redl*


*************************************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1010 wien, wipplingerstrasze 23/20
kontakt: bernhard redl
vox: ++43 (0222) 535-62-00
fax: ++43 (0222) 535-38-56
akin.buero@gmx.at
http://akin.mediaweb.at
pgp-key (2.6.2i) auf anfrage
Konto: 223-102-976/00, Bank Austria
BLZ 12000, Verwendungszweck: akin