*************************************************
akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch mit den in der
Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright als dem unseren
sagt nichts ueber eine anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
*************************************************
Aussendungszeitpunkt: 11.11.99; 22:20
*************************************************

Justiz/Staatsrassismus:

> Das Konstrukt der nigerianischen Mafia

Ueber die Prozesse gegen AfrikanerInnen

Im August dieses Jahres wurde eine Sendung von 12kg Kokain,
versteckt in Naturharz und in Postpaketen an einen
oesterreichischen Wirtschaftstreibenden adressiert, abgefangen. In
seiner Wohnung fanden sich weitere grosze Mengen von Naturharz mit
Spuren des Rauschgiftes, was in den Medien allerdings nur sehr
geringes Echo hatte (u.a. im Standard, 5.8.).

Als Ergebnis monatelanger Observierung und des Lauschangriffs
(dargestellt als erfolgreichster Schlag gegen eine internationale
Drogenmafia) wurden bei insgesamt etwa 100 Menschen mit dunkler
Hautfarbe 2-3 kg Kokain und Heroin gefunden. Die mediale
Oeffentlichkeit war sehr interessiert.

Bei der "groeszten Drogenrazzia der Zweiten Republik", der sog.
"Operation Spring", wurden mehr als 100 AfrikanerInnen verhaftet,
zwei Drittel von ihnen wurden aus Mangel an Belastungsmaterial
schon in den naechsten Tagen und Wochen wieder freigelassen. Die
Polizei betrieb dieses Spiel von Verhaften und Wieder-Freilassen
kontinuierlich weiter, so dasz bis heute unklar ist, wieviele
Menschen wirklich in Haft sind.

Unter fadenscheinigen Anklagen und dem Konstrukt einer Drogenmafia
finden derzeit die ersten Prozesse gegen die im Zuge der
"Operation Spring" Inhaftierten statt. Die Katze beiszt sich in
den Schwanz. Die extrem hohen Urteile von 7 bis 10 Jahren (bei
einem Strafrahmen von 15 Jahren fuer organisierte Kriminalitaet)
sollen im Nachhinein die Vorgehensweise der Polizei und die
Anklage rechtfertigen. Interessant in diesem Zusammenhang ist,
dasz ein groszer Teil der Observationen bei politischen anti-
rassistischen Aktionen durchgefuehrt wurde und die Beteiligung an
diesen ein Beweis fuer organisierte kriminelle Taetigkeiten sein
soll. Zitat Akt.: "Ferner tritt er (Der Angeklagte 2) an
vorderster Front bei der Demonstration gegen Rassismus und
Polizeigewalt auf, er hat dort Kontakt zu (Angeklagtem 1), von
welchem die Demonstration organisiert wurde. Die Demonstration
diente der Taetergruppe lediglich zu dem Zweck, um auch als
ILLEGALE leichter zu ,Papieren', wie auch als Dealer leichter
ihren Geschaeften nachgehen zu koennen. Dieser Umstand wird durch
die Sondermasznahme (Lauschangriff) eindeutig belegt."

Das Wort "eindeutig" bezieht sich auf das Zitat von Angeklagtem 1:
"Leave business and join the demonstration!" welches im Akt so
gedeutet wird: Zitat Akt.: "Angeklagter 1 wird als Kopf der
kriminellen Organisation angesehen. Gilt als Mitorganisator der
Demonstration und gab der Taetergruppe fuer ggst Demonstration
dienstfrei. Gilt als Verbindungsglied der kriminellen
Taetergruppen in Oesterreich. In der Hierarchie an oberster
Stelle." Eine absichtliche Fehlinterpretation der Uebersetzung der
Exekutive wurde zum groeszten Fahndungserfolg gegen die
"Organisierte Kriminalitaet" in Europa hochstilisiert.

Angeklagter 1 - von Polizei und Medien als "Boss" tituliert -
wurde mittlerweile enthaftet, wegen Fehlens eines dringenden
Tatverdachts. Trotzdem wird das Konstrukt des internationalen
Drogenkartells weiter aufrecht erhalten. Je weniger Beweise gegen
eine/n Angeklagte/n vorliegen, um so verdaechtiger erscheint die
Person. Denn das ist fuer die Justiz der Beweis fuer den hoeheren
Rang in der Hierarchie der Drogenmafia: Zitat Aktenauszug:
"Angeklagter 2 ...steht im Verdacht in einer kriminellen
Organisation gemaesz Paragraph278a StGB die Rolle einer
Fuehrungspersoenlichkeit zu haben. Dies ergibt sich schon allein
aus der Tatsache, dasz er beinahe taeglich im (observierten) Lokal
anwesend ist, jedoch, trotz durchgefuehrter Observationen, keinen
Suchtmittelhandel in der offenen Suchtgift-Szene durchfuehrt."

Nicht dem/der Angeklagten musz die Schuld bewiesen werden, sondern
diese/r musz dem Gericht die Unschuld beweisen. So fallen auch die
Urteile bei den Prozessen aus: Angeklagter 3 wurde gerade deshalb
zu 10 Jahren verurteilt, weil er nichts gestand und ihm kein
Suchtgifthandel nachgewiesen werden konnte. Kein Beweismaterial
wurde vorgelegt, das dieses Urteil rechtfertigen wuerde. Das
einzige "Verbrechen" dieser Menschen ist die falsche Hautfarbe.
Auch bei den anderen Prozessen reiht sich ein Justizskandal an den
anderen. BelastungszeugInnen werden nicht vorgeladen, nur mehr
verlesen; Kronzeugen traten vermummt auf und entpuppten sich
gleichzeitig als Hobbydolmetscher, die fuer die Justiz das
Ueberwachungsmaterial uebersetzen, das noch dazu von illegalen
Tonbandprotokollen (d.h. ohne richterlich genehmigten
Lauschangriff) stammen.

Zeitschrift Format 25.10.: "Der Wiener Anwalt Richard Soyer: ,Das
Gericht hat mir bisher die Auskunft darueber verweigert, ob die
Dolmetscher ueberhaupt gerichtlich beeidigt sind oder nicht.' Sein
Kollege Farid Rifaat hat deshalb bei der letzten Verhandlung zu
einem Trick gegriffen. Er hat den vermummten Dolmetscher einfach
einem Deutschtest unterzogen und ihn nach der Bedeutung des Wortes
,Beeidigung' gefragt. Der Mann muszte passen. Seither scheint
klar, dasz den Suchtgiftfahndern der Wiener Exekutive wieder
einmal ein peinlicher Fehler unterlaufen ist. Nachdem schon der
angebliche Bosz des Drogenkartells aus Mangel an Beweisen
freigelassen werden muszte, ist nun auch noch zu befuerchten, dasz
Hunderte Stunden an aufgezeichnetem Beweismaterial von
Hobbydolmetschern uebersetzt worden sind. Damit waeren sie aber
fuer das Gericht als Beweismittel wertlos."

Die Uebersetzungen waehrend der Prozesse sind mehr als mangelhaft,
den meisten Angeklagten ist waehrend der mehrmonatigen Haft weder
die Anklageschrift vorgelegt noch Einsicht in die Akten genehmigt
worden. Die meisten Angeklagten werden von den gleichen vier
Anwaelten vertreten, einer davon Farid Rifaat, der den Neonazi
Franz Radl im "Briefbombenprozesz" und die fuer den Tod von Marcus
verantwortlichen Polizisten verteidigt(e). Die Anwaelte
kooperieren mit der Justiz und bemuehen sich, ihre KlientInnen zu
Gestaendnissen zu ueberreden. Denn nur durch Gestaendnisse kann
das Konstrukt der Drogenmafia aufrecht erhalten werden.

Die Entlarvung dieses Konstrukts soll auch dadurch verhindert
werden, dasz die Angeklagten auf viele kleine Prozesse aufgeteilt
werden, allzu offensichtlich Unschuldige von Strafhaft direkt in
Schubhaft oder in Gefaengnisse in anderen Bundeslaendern
ueberstellt werden. Auch wird das Konstrukt eines riesigen
nigerianischen international agierenden Drogenringes als sicher
vorausgesetzt, obwohl dafuer bislang noch kein einziger Beweis
vorgelegt wurde - auszer wenn die Schlagzeilen der Kronen Zeitung
als juristischer Beweis herangezogen werden koennen.

Die Belastungszeugen sind mehr als unglaubwuerdig. Seltsam ist,
dasz bei mehreren Verhandlungen Zeugen nicht vorgeladen wurden,
sondern nur protokollierte Aussagen in Auszuegen verlesen werden.
Dieselben Zeugen sind teilweise selbst angeklagt, belastende
Aussagen wurden oft unter Drogenentzug gemacht. Bisher wurde
keiner dieser Punkte von den Anwaelten in Frage gestellt.

Mindeststandards im Gefaengnis werden den Inhaftierten verweigert.
Seit Monaten in Haft gibt es so gut wie keine Kontakte zur
Auszenwelt, sie haben nur die Kleidung vom Tag ihrer Verhaftung
und keine Hygieneartikel, die Nahrung ist inakzeptabel.

Um bei den Prozessen hoehere Strafen verhaengen und leichter
Abschiebungen durchfuehren zu koennen, werden Afrikanische
Jugendliche fast immer mittels dem beruechtigten
Handwurzelknochentest, der international als unzuverlaessig
abgelehnt wird (etwa von der UNHCR) zu Erwachsenen erklaert. Seit
Monaten werden jeden Tag AfrikanerInnen verhaftet, aus Wohnungen,
Asylheimen und sogar aus Zuegen gezerrt. Juengstes Beispiel ist
die Erstuermung von zwei Wiener Gesellenheimen, bei der
ausschlieszlich schwarze Jugendliche verhaftet wurden. (s.a. akin
28/99; Ute Bock, die Leiterin eines der Heime hatte
"ordnungswidrig" obdachlosen Schwarzen Unterschlupf gewaehrt; Laut
BM Haeupl gibt es kein Disziplinarverfahren mehr gegen sie.
Quelle: Standard 6.11.)

Die Gefaengnisse sind uebervoll mit afrikanischen Menschen,
waehrend sie nach diesen Masznahmen fast gaenzlich aus dem Wiener
Straszenbild, dem politischen und gesellschaftlichen Leben
verschwunden sind. Denn wo sie sich blicken lassen, werden sie von
Polizisten sofort perlustriert, von rassistischen Passanten
angepoebelt, oft werden sie verhaftet und selbst die buergerliche
Oeffentlichkeit kann die staendigen Uebergriffe nicht mehr
gaenzlich verschweigen - es ist daher keine Uebertreibung, von
einer ethnischen Saeuberung in Oesterreich zu sprechen. *GEMMI/akin*


***

Kasten:

> Was ist GEMMI?

GEMMI (Gesellschaft fuer Menschenrechte von Marginalisierten und
ImmigrantInnen) wurde Anfang Mai 99 gegruendet, angesichts der
Verschaerfung der Fremdengesetze, der rassistischen Hetze in den
buergerlichen oesterreichischen Medien und dem Ausbau des
staatlichen Repressionsapparats; sowie einer von der
Oeffentlichkeit kaum wahrgenommenen und immer mehr tolerierten
Verschlechterung der Lebensbedingungen hier lebender
marginalisierter Gruppen durch Illegalisierung, Kriminalisierung
und Diskriminierung.

Unsere Arbeit wird von oeffentlichen Stellen nicht unterstuetzt
und nicht subventioniert. Die GEMMI hat es sich zur Aufgabe
gemacht, rassistische Praktiken der Polizei und Klassenjustiz
bloszzustellen, darueber zu informieren und nach Moeglichkeit zu
bekaempfen. Wir wollen auf den institutionalisierten Rassismus in
Oesterreich aufmerksam machen und arbeiten gegen die
fortschreitenden Ausbreitung von Rassismus, Repression und deren
Konsequenzen in Oeffentlichkeit und Institutionen. GEMMI bekaempft
Verletzungen der Menschenrechte seitens der oesterreichischen
Institutionen und Behoerden, deckt Menschenrechtsverletzungen und
rassistische Uebergriffe von Polizei und Justiz auf und arbeitet
fuer ihre Oeffentlichmachung. GEMMI unterstuetzt politisch, sozial
und rechtlich Betroffene.
*Selbstdarstellung/bearb.*

***

Kontakt: GEMMI, Stiftgasse 8, A-1070 Wien, fon 523 64 75, fax 523
40 09. PSK 210.632.598, Titel: Ueberbringer



*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1010 wien, wipplingerstrasze 23/20
kontakt: bernhard redl
vox: ++43 (0222) 535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
fax: ++43 (0222) 535-38-56
http://akin.mediaweb.at
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin