akin / aktuelle informationenPressedienst akin vom 19-02-1999
 
 



akin-Pressedienst.Elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten seinn. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.



Demotermin:

> Freiheit fuer Abdullah Oecalan und
> Selbstbestimmung fuer das kurdische Volk!

> Demonstration: Sa. 20.2. 12 Uhr, Westbahnhof

bisherige Unterstuetzer: Alternativ-, Frauen,- Kultur-Referat der
OeH-BoKu, Arabischer Palaestina Klub, ASt, Autonome Palaestina
Gruppe, Bolsevik Partizan, Dogmatische Aktion, ERNK (Vertretung in
Oesterreich), Gegeninformationsinitiative Aug und Ohr, GLB, JRE,
Jugoslawischer Dachverband, IML, Irakische Gemeinde, Irakisches
Haus, KAS, KIW, Kommunistische Aktion, KSV, LabourNet Austria, MIR
Oesterreich, MLKP, RBH, rebel, Revolutionaer Kommunistische Liga (RKL),
SOV, TIKB Sympatisanten in Oesterreich, TKP(ML), Universalismus-Gruppe
                                                                *RKL*



Debatte:

> Die Maennlein und die Weiblein

oder: Wie wichtig ist der kleine Unterschied?

Liebe Leserinnen, liebe Leser, in unserer Redaktion entspann sich
kuerzlich eine Debatte darueber, wie wir Maennlein und Weiblein
voneinander unterscheiden, und warum, und wie wir die kleinen Buberln
und Maederln darueber unterrichten, dasz sie sich voneinander
unterscheiden, und warum. Wir haben die Debatte abgebrochen und sind
an die Arbeit gegangen. Aber Liesl Fritsch hat sich die Frage
ueberlegt und dazu etwas zu Papier gebracht. Es enspann sich folgende
Diskussion in der Papierausgabe der akin. Als Diskussionsanregung
seien hier im akin-pd die gesamte Debatte auf einmal wiedergegeben.
                                                           *Red.*

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Solange von Geburt an in entweder maennlich oder weiblich eingeteilt
wird und maennlich mit "grosz, stark, aggressiv und weint nicht"
assoziiert wird und weiblich mit "traegt Stoeckelschuhe, Netzstruempfe
und lange Wimpern und malt sich die Lippen an, ist anschmiegsam und
fuersorglich", solange diese Bilder verbreitet sind und verbreitet
werden - und wem nuetzt diese Ideologie? wem nuetzt die Konstruktion
scharfer Grenzen? warum werden diese Bilder verbreitet? um die Haelfte
der Menschheit oder 51% bei bedarf an den haeuslichen Herd zu ihrer
"natuerlichen" Berufung schicken zu koennen und kreative Frauen,
Frauen, die denken und Frauen, die in der Oeffentlichkeit den Mund
aufmachen, entweder guenstigenfalls zu tolerieren, oder, um sie als
widernatuerlich zu diffamieren - solange es so laeuft, solange bin ich
dafuer, alle Kinder unabhaengig von ihrem Geschlecht und ihrer
sexuellen Orientierung nach ihren Faehigkeiten und Beduerfnissen
bestmoeglich zu foerdern (dazu gehoert auch die Information, dasz es
Menschen gibt, die Kinder gebaeren koennen und solche, die Kinder
zeugen koennen und wie das vor sich geht; Kindern diese Information
vorzuenthalten ist ein uebles Repressionsmittel) und ich bin dagegen,
ihnen mit Hormonen und/oder Chirurgie zu einer eindeutigen
geschlechtlichen Zuordnung zu ver-"helfen". Wenn Menschen, die nicht
der Norm entsprechen, sich nicht wohlfuehlen, so ist das nicht eine
Folge ihrer Abnormitaet, einer Krankheit, sondern eine Folge des
Drucks, des Zwangs zur Normalitaet. Und "Frauen sind so und sooe und
"Maenner sind so und so" zu behaupten, oder noch schlimmer: "ein
richtiger Mann/eine richtige Frau ist so", hilft, diesen Druck
aufrechtzuerhalten, verfestigt die bestehenden Verhaeltnisse.

Die Geschlechter zu definieren ist fuer die freie Entfaltung der
Persoenlichkeit unnoetig, sobald Vaeter auch bevatern und nicht nur
Muetter bemuttern. So wie meine Religion nur fuer die von Belang ist,
die sie mit mir gemeinsam zelebrieren wollen, und die brauchen dafuer
keine Angaben vom Finanz- oder Innenminister, so ist mein Geschlecht
nur fuer die von Interesse, die mit mir intim sind. Die paar Menschen,
dieÆs angeht, die erfahren es, wenn sie mir naeherkommen. Ich schlage
deshalb vor, auf Frageboegen die Angabe der Religion und auch die
Angabe des Geschlechts zu verweigern. Und wenn Gleichgeschlechtliche
zusammenleben wollen und mit Kindern zusammen leben wollen, sollen sie
sie adoptieren koennen wie Verschiedengeschlechtliche, die manchmal ja
auch keine Kinder kriegen, obwohl sie verschiedenen Geschlechts sind.
Ich danke Thomas MAYER (a9201926@unet.univie.ac.at) und Thomas VINZENZ
(a9705383@unet.univie.ac.at) fuer ihren herzerfrischenden Verrisz von
Sabina RIEDELs Film "Es lebe der kleine Unterschied", dem ich viel von
Obigem verdanke.                                      *Liesl Fritsch*

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Liebe Liesl! Dein Vorschlag, auf Frageboegen die Angabe der Religion
und auch die Angabe des Geschlechtes zu verweigern, weil das jedes
Menschen Privatsache sei, hat bei mir Kopfschmerzen und Aggressionen
hervorgerufen. Bei der Religion kann ich Dir noch zustimmen, aber beim
Geschlecht nicht.

Erstens: Wir haben so lange gebraucht und werden auch noch lange
brauchen, bis es sich herumgesprochen hat, dasz Frauen was anderes
sind als kleinere Maenner, dasz Frauen eigene Beduerfnisse, eigene
Denkweisen und eine eigene Kultur haben. Und jetzt kommst Du und
willst durchsetzen, dasz das alles gar nicht von Bedeutung ist, weil
es eine kleine Gruppe von Menschen gibt, deren Geschlecht nicht
eindeutig feststeht, oder die sich nicht einem Geschlecht zuordnen
koennen. Wir sind wieder bei der alten Diskussion, wie privat das
Politische und wie politisch das Private ist.

Zweitens: Wenn Du Deinen Vorschlag weiterdenkst und genuegend Menschen
dem Vorschlag folgen wuerden, dann entziehst Du der Frauenbewegung
jede Argumentationsgrundlage. Dasz fuer die gleiche Arbeit Frauen
weniger Lohn bekommen, ist nicht mehr beweisbar, weil nicht mehr
beweisbar ist, wer welche Arbeit um wieviel Geld macht. Dasz
Pensionistinnen schlechter leben als Pensionisten, ist nicht mehr
belegbar. Die Soziologie kann keine gueltigen Aussagen mehr darueber
machen, dasz Frauen benachteiligt sind. Aber auf genau diese Aussagen
sind wir angewiesen, weil ohne Beweis halt leider nur mehr
Kaffeesudlesen bleibt.

Dein Vorschlag mag politisch korrekt sein, aber ich moechte ihn doch
lieber unter die utopischen Denkspiele einreihen.      *Ilse Grusch*

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Liebe Ilse, Du hast recht, mein Vorschlag ist eher ein Denkanstosz.
Im uebrigen meine ich, dasz von verschiedenen Ausgangspunkten
ausgehend, verschiedene Wege ins Reich der Gerechtigkeit und der
klassenlosen Gesellschaft fuehren, und auch ueber die Wege zur
Ueberwindung der Herrschaft eines Geschlechtes ueber das andere gibt
es verschiedene Meinungen: Die einen wollen Frauennischen ausbauen,
die anderen wollen gegen die geschlechtsspezifische Segregation des
Arbeitsmarktes Maennerdomaenen fuer Frauen oeffnen. Und auch in der
Kindererziehung gibt es Muetter, die von den Vaetern ihrer Kinder
erwarten, dasz sie mit ihnen die Versorgungsarbeit teilen, und solche,
die die Einmischung der Vaeter ablehnen.             *Liesl Fritsch*

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Liesl Fritsch ist sicher zuzustimmen, dasz die negative Befindlichkeit
auszerhalb der buergerlichen Norm lebender Menschen nicht in ihrer
,Abnormitaet` an sich, sondern im Druck zur ,Normalitaet` von auszen
zu suchen sei. Das Rezept gegen die Diskriminierung von Frauen und
sexuellen Minderheiten bestehe darin, Maenner und Frauen nicht mehr in
Geschlechter einzuteilen und diese auch nicht mehr anzugeben -- womit
schon bei der Erziehung beginnen werden solle. Zugegebenermaszen eine
Moeglichkeit. Wenn in Zukunft Wesen mit Busen diskriminiert und Wesen
ohne Busen bevorzugt werden, gibt es wenigstens keine
Frauendiskriminierung mehr. Aber schon die Antwort von Ilse Grusch
zerpflueckt diese Variante eines sozialen Befriedungsversuches.
Bedauerlicherweise gebe es nunmal Maenner und Frauen. Frauen seien
extrem benachteiligt, Liesl entziehe mit ihrem Vorschlag der
Frauenbewegung jegliche Argumentationsgrundlage.

Erscheint der Vorschlag von Liesl Fritsch zwar verstaendlich, fuegt er
sich doch in den eigenartig zunehmenden Trend ein, nichts mehr zu
definieren und schon gar nicht sich selbst. Verschwinden mit der
totalen Negation von Unterschieden soziales Konfliktpotential und die
Ungerechtigkeiten von selbst -- nur weil wir uns weigern, es zu
bezeichnen? Aus naheliegenden Gruenden neigen totalitaere Systeme mit
Vorliebe dazu, die Gleichheit aller zu beschwoeren. Es ist nur
konsequent, dasz dann mit allen Mitteln gegen die vorgegangen werden
musz, die eben nicht gleich sind und es auch nicht sein wollen.
Slowenen, Kroaten und Ungarn werden in Oesterreich weniger Probleme
mit der Angabe ihrer Volksgruppe haben, als es noch immer Roma und
Sinti haben. Aber voriges Beispiel weiterspinnend, waere es ein Ausweg
aus der sozialen Nichtakzeptanz, wenn die Roma-Eltern ihren Kindern
predigten: ,Du bist kein Rom, eigentlich gibt es gar keine Roma und
Sinti.`? Die Konsequenz waere das Untertauchen ganzer Volksgruppen
ohne politische Vertretungsmoeglichkeiten -- bestehen bliebe trotzdem
die soziale Miszachtung.

Ueber Einkommen wird nicht gesprochen -- ein ungeschriebenes Gesetz.
Gut dazu paszt, dasz dem neoliberalen Trend und der Beliebigkeit
folgend, der Klassenbegriff aufgeweicht scheint und als politisch
verwendbare Kategorie fuer die Oeffentlichkeit nicht mehr existiert.
Die Probe des Negierens funktioniert auch hier. Weil die veraenderten
Zusammensetzungen innerhalb der Klassen nicht mehr adaequat 1:1 den
traditionellen parlamentarischen Vertretungen und vor allem den
herkoemmlichen politischen Strickmustern einer Klasse entsprechen,
wird das Vorhandensein von sozialen Klassen prinzipiell negiert -- ein
Kampfbegriff von vorvorgestern, altmodisch und durch Zeitgemaeszes
ersetzt. Soll heiszen: alle Grenzen sind flieszend, niemand ist mehr
zuordnungsbar, nichts Genaues weisz man nicht. Trotzdem bleiben
12.000.- Schilling interessanterweise 12.000.- Schilling -- egal, ob
dies ein ungelernter Hilfsarbeiter mit wechselnden Jobs oder eine
Akademikerin mit zwei unsicheren Werksvertraegen erhaelt. Absehbar
ist, dasz sich beide mit 60 Jahren ihre Unterstuetzung am Sozialamt
abholen -- und er originellerweise die FP und sie das LIF oder die
Gruenen waehlt.

Das Aufweichen von sozialen Selektionsbegriffen mag zwar zur
momentanen Befriedung fuehren, bringt aber mit Sicherheit keine
politische Veraenderung und auch in Zukunft keine soziale Harmonie. Es
ist nicht alles gleich -- Ungleichheit wird dadurch nicht aufgehoben,
dasz sich die Menschen zu ihrem Leben und ihren Eigenheiten nicht mehr
bekennen, und aus sicherlich wohlgemeinten Gruenden eine diffuse und
uniforme Masse angestrebt wird, die es nicht geben kann und soll.
Jeder oeffentliche Auftritt eines Alfons Haider unterstuetzt in der
Gesellschaft die Akzeptanz von Schwulen mehr als jede
Geschlechtsdebatte. Profitiert das Selbstbewusztsein von
Transsexuellen davon, dasz in Zukunft ueberhaupt keine
Geschlechtsangaben mehr gemacht werden oder von der vorstellbaren
Utopie, dasz sie sich ueberall dazu bekennen koennen? Werden Roma
selbstbewuszter, wenn sie sich nicht mehr als Roma deklarieren? Kaum.
Werden Klassengegensaetze ausgeraeumt, wenn behauptet wird, es gebe
keine Klassen mehr? Sicher nicht.                     *Fritz Pletzl*

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Neulich gehe ich hinter einer wallenden blonden Maehne und pfeife ihr
nach, wie es so meine Macho-Art ist. Da dreht sich der Kerl um und ich
habe gelernt, dasz ich mich nicht mehr auf Aeuszerlichkeiten verlassen
kann.

Die Diskussion zwischen Liesl und Ilse wirft fuer mich einige Fragen
auf. Wenn man zur Frau / zum Mann nicht geboren sondern erzogen wird,
warum ist bei Neugeborenen immer die erste Frage: iss ein Bub oder
Maedchen und warum ist das so wichtig? Wenn die Kleinen vom
Unterschied vorerst gar nichts wissen, dann koennen sie
Rollenvorbilder nicht nachmachen und muessen ihre eigenen Vorlieben
entdecken.

Der Einwand von Ilse ist zwar richtig, laeszt sich aber auch aus dem
anderen Eck her betrachten. Es ist ja nicht nur so, dasz nur Frauen
andere Beduerfnisse haben als Maenner, sondern fast alle Menschen
haben Beduerfnisse, die andere nicht haben. Hier schlaegt ja die
Rollenmusterzuteilung voll zu. Haben denn alle Frauen dieselben
Beduernisse und die selbe Denkweise und dieselbe Kultur? Ich habe
viele Beduerfnisse, die normale Maenner nicht haben und viele
Beduerfnisse, die normale Frauen auch haben.

Wie soll es Maenner- und Frauenloehne geben, wenn es nur neutrale
Menschen gibt? Wie sollen Unternehmer die Frauen diskriminieren, wenn
sie nur neutrale Menschen angestellt haben?

Es geht ja nicht nur um Zwitter oder Monster und alle sonstigen, die
in kein Vorurteilskasterl passen, sondern um alle.  *Robert Reischer*

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   Weitere Beitraege zur Debatte sind durchaus erwuenscht. Wenn sie
   fuer die Papierausgabe gedacht sind, bitten wir aber, sie nicht
   per Quote-Technik zu verfassen.                           *Red.*
 



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last update:  19-02-1999  by: Horst.JENS@bigfoot.com (html-Konvertierung)