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Balkan-Krieg/Debatte:
 
> Vom gruenen Kriegsverbrecher zum pazifistischen Kriegsverbrecher
 
Es gibt sie, die anderen Meinungen zu NATO und Kosovo. Nur ist die
Frage, ob man sie vertreten darf, ohne gleich als Kriegsverbrecher
abgestempelt zu werden. Deshalb bin ich am Ueberlegen, ob es jetzt
nicht doch besser waere, sich im Park an die Sonne zu setzen und
diesen Artikel zu vergessen.
 
Aber ich bin einer, der im Laufe seines Lebens schon alles
moegliche geheiszen wurde, wenn er mit seiner Meinung gegen den
Strom geschwommen ist, also ist das auch wieder nicht so schlimm.
 
Meine grundsaetzlichen Meinungen zu dem Thema sind:
 
- Ich finde es absolut berechtigt, dasz eine internationale
Staatengemeinschaft versucht, mit militaerischer Waffengewalt -
als LETZTES MITTEL - eine Voelkervertreibung zu verhindern. Wenn
die UNO aus verschiedensten Gruenden dazu nicht in der Lage ist -
obwohl sie Gesetze beschlossen hat, die solches verhindern soll,
dann kann und soll das auch eine EU, eine NATO oder irgendwer
anderer tun. Dasz die NATO-Aktion tatsaechlich gegen UNO-Recht
verstoeszt, ist fuer mich noch lange nicht so klar wie fuer
andere, die mit schnellen und einfachen Losungen komplizierte
Probleme loesen wollen.
 
- Fuer mich liegt die klare Verantwortung bei der serbischen
Regierung. Aus diesem Grund ist auch kaum irgendeine andere
Regierung (und schon gar nicht die russische) auf ihrer Seite. Wer
mit serbischen Fahnen am Stephansplatz fuer so etwas wie "Frieden"
demonstriert, ist sicher kein Pazifist, sondern demonstriert FUeR
die Vertreibung aller Albaner aus dem Kosovo, Ermordung von
albanischen Intellektuellen, Vergewaltigung albanischer Frauen und
fuer alle Probleme, die daraus fuer die naechsten 50-100 Jahre
entstehen werden. Wer das anders sieht (und ich glaube, dasz es
kaum Gruene gibt, die das anders sehen), hat sich entweder nur
sehr einseitig in den Medien informiert, oder ist nicht nur auf
einem Auge, sondern gleich am ganzen Koerper blind. Solche Leute
sind "pazifistische Kriegsverbrecher". (Bevor die NATO
eingegriffen hat, sind schon weit ueber 100.000 Kosovo-Albaner
vertrieben worden)
 
- Ich glaube, der NATO-Angriff war die allerletzte Moeglichkeit.
Leider wurde die Voelkervertreibung nicht verhindert, vielleicht
kann sie aber im Gegensatz zu anderen Voelkervertreibungen (z.B.
Juden und Armenier) noch rueckgaengig gemacht werden. Drohungen,
Embargos und diplomatische Missionen haetten sie aber ganz sicher
nicht mehr verhindert. Im Gegenteil -
 
- Ich glaube sogar, dasz der NATO-Angriff einen viel laengeren und
schlimmeren Balkankrieg verhindern hat, Krieg zwischen Montenegro,
Albanien, Mazedonien und Serbien, und wer weisz, vielleicht waeren
auch wieder Bosnien, vielleicht sogar Griechenland und die Tuerkei
hineingezogen worden. Wer sich mit solchen Szenarien nicht
ernsthaft auseinandersetzt, ist leider auch kein Pazifist.
 
- Ich verstehe unter Pazifismus, dasz man alles (Kampf gegen
Nationalimus, soziale Ungleichheit und Rassismus,
Religionsfreiheit, Voelkerverstaendigung, Abruestung,...) tut,
um kuenftige Kriege zu verhindern. Bei einem Krieg (Serbien gegen
Kosovo-Albaner) zuschauen, ist kein Pazifismus. Der Austritt der
gruenen Mandatare aus der gruenen Partei hilft weder den aus ihren
Haeusern vertriebenen Albanern noch sonstwem in der Welt. Der
NATO-Angriff haette auch ohne gruene Regierungsbeteiligung
stattgefunden. Wer Joschka Fischer als "Kriegsverbrecher"
beschimpft, weisz weder, was ein Kriegsverbrecher ist, noch wie es
dazu kam, dasz die deutsche Regierung dem NATO-Angriff zugestimmte
(das kann man in der ZEIT Nr. 20 vom 12. Mai 1999 nachlesen). Wer
glaubt, so, jetzt habe ich eine tolle Resolution verfaszt, damit
einen NATO-Angriff verhindert, eine deutsche Regierung gesprengt -
- und dreht in vermeintlich vollberechtigter moralischer
Selbstzufriedenheit den Fernseher ab, wenn die ganzen Berichte von
Greueltaten kommen, auch der ist in meinen Augen ein
pazifistischer Kriegsverbrecher.
 
- Die Fehler wurden schon viel frueher gemacht (und eigentlich
faengt die Geschichte ja schon im 14. Jahrhundert an), besonders
nach dem 1. und dem 2. Weltkrieg und in den 70er und 80er Jahren.
Die serbische Regierung unter Milosevic war an Frieden allerdings
nie interessiert. Laut STANDARD wurden die Grundzuege der
Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo in einem Geheimpapier schon
1987!!! festgeschrieben. Spaetestens mit dem Bosnien-Krieg (damals
hat die NATO uebrigens nicht eingegriffen) haette allen klar sein
muessen, was sich tatsaechlich abspielt. Damals gab es sowohl in
Deutschland als auch in Groszbritannien konservative Regierungen,
die haben nicht viel mehr gemacht als kleine diplomatische
Initiativen nach Belgrad zu schicken.
 
Ich wuerde sagen: konservative Regierungen haben die Scheisze
diplomatisch angerichtet, sozialistische bzw. gruen-sozialistische
Regierungen muessen sie militaerisch ausbaden.
 
- Den Amerikanern sollte man nie trauen. Was die tatsaechlich fuer
Interessen am Balkan haben, weisz ich nicht. Aber wir koennten ja
den CIA fragen. Ohne Amerikaner wuerde es aber auch keinen
Militaereinsatz geben, wenn er absolut notwendig waere.
 
- Die EU ist leider noch immer ganz weit davon entfernt, mit
irgendwelchen Konflikten diplomatisch fertig zu werden. Wo bleibt
die grosze "Balkan-Konferenz", auf der ueber alles geredet werden
sollte (auch neue Grenzziehungen, wirtschaftliche und soziale
Initiativen, usw...).
 
- Immer eins nach dem anderen: aber nach den Kosovo-Albanern sind
jetzt dann wirklich die Kurden dran!!!
 
- Ich bin natuerlich fuer die Neutralitaet. Die oesterreichische
Regierung haette auch viel mehr daraus machen koennen. Gerade sie
haette diplomatische Initiativen setzen koennen. Hat sie nicht
getan, weil sie auch nach 50 Jahren noch immer nicht weisz, was
sie unter "Neutralitaet" verstehen und wie sie danach handeln
soll.
 
- letzter Punkt: genau damit muessen wir alle leider fertig
werden: Ein Verbrechen verhindern zu MUeSSEN mit Mitteln, die wir
aus guten Gruenden ablehnen, einer Organisation, die zivile
Unfaelle vertuscht (z.B. der Raketenabschusz eines Zivilflugzeugs
ueber Italien und die abgeworfenen NATO-Bomben) unter der Fuehrung
einer USA, die geistig nur Rambo-Methoden kennt, der es nicht
einmal gelingt, einen Piloten, der fuer Seilbahnunglueck mit 20
Toten verantwortlich ist, gerichtlich zu verurteilen!
 
P.S. Ich habe kein Verstaendnis mehr dafuer, mit welch
manipulativer Argumentation und Demagogie Gerald Oberansmayr
Feindbilder gegen Gruene aufbauen und Tatsachen verdrehen. Diese
Mandatare sind alles andere als Vorbilder fuer Pazifismus. Was
soll das: Unterschrieben wird mit "wir treten aus der gruenen
Partei aus" und drueber steht "Pazifisten werden aus der gruenen
Partei hinausgedraengt". Ja, was nun? Sind sie jetzt eigenhaendig
ausgetreten oder hinausgedraengt worden? Joerg Haider ist offenbar
nicht mehr der Parade-Demagoge Oesterreichs! *Thomas Herzel*
 
***
 
ANMERKUNG: Da es in letzter Zeit schon des haeufigeren zu diesem
Miszverstaendnis gekommen ist, sei es hier noch einmal betont:
Namentlich gezeichnete Artikel entsprechen nicht unbedingt der
Redaktionsmeinung. Der obige hingegen entspricht nicht "nicht
unbedingt" der Redaktionsmeinung, er entspricht ihr ueberhaupt
nicht. Er wurde lediglich deswegen abgedruckt, weil es formal
keine ausreichenden Ablehnungsgruende gab. *Die Redaktion*
 
 
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