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Aussendezeitpunkt: Di, 08.06.99, 12:53 *
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Balkan-Krieg:
 
> Auch die Faehren gibt es nun nicht mehr
 
Seit Pfingstsonntag besuchte eine deutsche Gewerkschaftergruppe
Betriebe in Jugoslawien, um sich ein Bild von den Zerstoerungen zu
machen. Zu den zehn Mitgliedern gehoerten der Hamburger Schauspieler

*ROLF BECKER* und der Hannoversche Journalist *ECKART SPOO*, die davon
berichten (Fortsetzung aus akin 18/99 bzw. akin-pd 1.6.99):
 
*
 
Belgrad, 27./28. Mai 1999. Am vorletzten Tag unserer Reise sehen
wir in Belgrad immer neue Zerstoerungen, hoeren immer mehr
Flugzeuge und Detonationen. Wir erfahren in Gespraechen mit vielen
Menschen, wie der Krieg das ganze Volk in seinen Wuergegriff
nimmt. Tomislav Banovic, der Vorsitzende des serbischen
Gewerkschaftsbundes sagt, die materiellen Schaeden nach 64 Tagen
Nato-Bombardement seien bereits groeszer als alle Zerstoerungen
waehrend des 2. Weltkrieges in Jugoslawien.
 
Viermal ist das Belgrader Krankenhaus Dr. Dragisa Misovic am
Bulevar Mira (Friedensboulevard) von Nato-Bomben getroffen worden.
Es ist benannt nach einer Aerztin, die von den Nazis erschossen
wurde. Der stellvertretende Chefarzt Dr. Miodrag Lazic, dem es
fernliegt, die massenmoerderische Naziokkupation zu verharmlosen,
erwaehnt waehrend unserer Begrueszung: "Hitler hat in Jugoslawien
kein Krankenhaus getroffen".
 
Im Krankenhaus Dr. Dragisa Misovic ist die einzige jugoslawische
Klinik fuer lungenkranke Kinder. Wir sehen zerborstene Mauern, die
verbogenen Bettgestelle der kleinen Patienten, beschaedigte
medizinische Geraete, die saemtlich deutsche Fabrikate sind.
 

Krankenschwestern suchen in den Truemmerhaufen nach
Behandlungsberichten, die fuer die richtige Medikation der
Langzeitpatienten unentbehrlich sind. Die Neurologie ist total
zerstoert, sie war vor kurzem renoviert worden. Alle 810 Patienten
muszten evakuiert werden. Die meisten der 1200 Beschaeftigten
koennen ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen.
 
Wir treffen uns mit verschiedenen Mitgliedern der buergerlichen
Opposition und aus gewerkschaftlichen Gruppen. Alle stimmen in dem
Unverstaendnis fuer die Begruendungen der Natoaggression ueberein.
Hier einige Beispiele:
 
- Sind das die Menschenrechte, die wir jetzt von der Nato
bekommen? Das erste Menschenrecht ist das Recht auf Leben.
 
- Durch die Bombardements ist die sich oeffnende Gesellschaft
wieder geschlossen. Der Krieg beguenstigt erst die Entwicklung
einer Diktatur.
 
- Es wird vielleicht wieder Strom geben, wenn wir die Nato
reinlassen, aber wir verlieren Freiheit und Wuerde.
 
- Wenn der Westen weiterbombt, werdet ihr noch viel mehr
Fluechtlinge bekommen, auch aus Serbien.
 
- Die Nato am Himmel, Milosevic am Boden
 
- Ohne Hoffnung und Hilfe sind wir wie in einem Sandwich. Zwei
arrogante Maechte erdruecken uns von oben und unten.
 
Wissenschaftler und Vertreter der Gruenen berichten uns ueber
nicht absehbare oekologische und gesundheitliche Schaeden durch
die Bombardements der chemischen Werke und durch die Verwendung
neuartiger Waffen. Professor Dr. Luka Radijar berichtet, dasz der
bisher ohnehin schon zu hohe Phosgengehalt der Luft in der
Umgebung des petrochemischen Kombinats Pancevo durch die
Bombardierung um das Zehntausendfache stieg. "Mein Enkelkind in
einer Hochhauswohnung im 16. Stock hat kein Wasser, keinen Strom,
und die Mutter hat keine Milch. Was hilft dieser Krieg den
Albanern im Kosovo, dessen Doerfer und Staedte dermaszen zerstoert
und vergiftet sind, dasz dort auf lange Zeit kein Leben mehr
moeglich ist?"
 

Im Land waechst die Angst vor voelliger Isolation, nachdem schon
seit langer Zeit durch das Embargo z.B. wissenschaftliche Kontakte
eingeschraenkt sind. Mit Beschaemung hoeren wir, dasz wir als
erste deutsche Gewerkschaftergruppe seit Beginn der 90er Jahre
begrueszt werden. Dasz der DGB alle Kontakte eingefroren hat,
befremdet die jugoslawischen Kolleginnen und Kollegen. Das
Hotelpersonal in Belgrad verabschiedet uns mit Traenen. Es sind
Traenen der Angst vor der ungewissen, bedrohlichen Zukunft - Zeigt
uns, dasz wir nicht allein sind! Und hier, wie zum Schlusz fast
aller Gespraeche: Berichtet die Wahrheit!
 
Das Volk fuerchtet, mundtot gemacht zu werden. Die Unterbindung
der Satellitenuebertragungen von Rundfunk- und Fernsehsendungen
hat zur Folge, dasz die Weltoeffentlichkeit kaum noch etwas vom
Nato-Terror erfaehrt. Die Abschnuerung des Landes setzt sich
dadurch fort, dasz wichtige Informanten z.B. aus Gewerkschaften
und Oppositionsgruppen keine Einreisemoeglichkeit mehr in die
Bundesrepublik bekommen. Unser Begleiter Sveta Vladisavljevic, der
jahrelang in Deutschland gearbeitet hat - er war
gewerkschaftlicher Vertrauensmann bei der DEMAG in Duesseldorf -
wollte am 29. Mai nach Duesseldorf fahren, um den DGB-Vorstand zu
informieren und um solidarische Hilfe zu erbitten. Die deutschen
Behoerden verwehrten ihm die Einreise.

 
Auf der Rueckfahrt passieren wir noch einmal Novi Sad, wo wir am
ersten Tag unserer Reise die zerstoerten Donaubruecken gesehen
hatten. In der letzten Nacht sind auch die Anlegestellen der
Faehrbooote, mit denen die Verbindung zwischen den Stadtteilen an
beiden Ufern muehsam aufrechterhalten wurde, zerbombt worden.
 
*Vor der Ausreise, 28. Mai 1999*
 
Ziel unserer Reise war es, Informationen aufgrund eigener
Beobachtungen und unmittelbarer Kontakte mit Kolleginnen und
Kollegen in Jugoslawien zu gewinnen und an unsere Kolleginnen und
Kollegen in der Bundesrepublik Deutschland weiterzugeben. Wir
wollten dazu beitragen, den gewerkschaftlichen Auftrag »Konflikte
auf zivilem Wege ohne militaerische Gewalt zu loesen« (DGB-
Grundsatzprogramm) zu verwirklichen.
 
Auf den Stationen unserer Reise - Novi Sad, Belgrad, Kragujevac,
Nis und Aleksinac - haben wir die Zerstoerungen von Fabriken,
Kraftwerken, Krankenhaeusern, Schulen und Hochschulen,
Wohnvierteln, Verkehrswegen und Bruecken gesehen und in
Gespraechen mit Beschaeftigten zerstoerter Betriebe, Ausgebombten,
Rote-Kreuz-Helfern, Aerzten, Wissenschaftlern und Vertretern von
Gemeinden und Gewerkschaften erfahren, was die Bombardements der
NATO fuer die Menschen in Jugoslawien bewirken. Der »saubere
Krieg« der NATO ist kein »Krieg gegen Milosevic«, sondern ein
Krieg gegen die Zivilbevoelkerung. Die Zentren der Versorgung
liegen in Truemmern, die Arbeitsplaetze sind fuer Jahrzehnte
vernichtet, die Gesundheit vieler Menschen in noch nicht
abschaetzbarem Umfang geschaedigt, die Jugend ist ihrer
Perspektive beraubt. Und ein Ende des NATO-Terrors ist nicht in
Sicht.
 
Der Auftrag, den uns die Menschen mit auf die Heimreise geben, ist
einfach: Tragt dazu bei, den Krieg auch nur um einen Tag zu
verkuerzen. Laszt uns nicht allein. Helft die Wahrheit ueber
unsere Lage zu verbreiten.
 
Es wird schwer sein, diesen einfachen Auftrag umzusetzen. Wir
bitten unsere Kolleginnen und Kollegen in Betrieben und
Gewerkschaften und alle Menschen, die guten Willens sind, uns zu
unterstuetzen. Wir fordern alle humanitaeren Organisationen in der
Bundesrepublik Deutschland auf, die Not und das Leid der
Bombenopfer zu lindern. ###
 
Spendenkonto: Hilfe fuer Kragujevac (Josef Bergmann) Hamburger
Sparkasse (BLZ 200 505 50) Kto.-Nr.: 1230 499 335
 
Kontakt: Rolf Becker (IG Medien Hamburg) Fax 040 - 280 32 14,
e-mail ueber h.artus@nikoma.de
 
 
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