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Aussendezeitpunkt: Di, 18.05.99, 14:41 *
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Causa Marcus O.:

> Der ploetzliche Gewahrsamstod

Nach internationalen Erfahrungen war der Tod Marcus Omofumas kein
Einzelfall

*

Ein Nigerianer wird von mehreren Beamten mit Gewalt zum Zwecke der
Abschiebung ist Flugzeug gebracht. Er wird von den Beamten
brachial an den Sitz geschnallt und geknebelt. Zu spaet muessen
sie erkennen, dasz sie ihn damit zum Tode gebracht haben. Doch der
Staat behandelt seine Angestellten milde.

Die Geschichte wiederholt sich. Am 1.Mai 1999 kam der 26-jaehrige
Marcus Omofuma in oesterreichischem Polizeigewahrsam an Bord einer
bulgarischen Maschine ums Leben. Aber schon am 30.August 1994
starb der 30-jaehrige Kola Bankole unter Aufsicht mehrerer
deutscher Bundesgrenzschuetzer und eines Arztes in einer
Lufthansamaschine -- unter erschreckend aehnlichen Umstaenden.

KLAUS METZ, politisch engagierter Arzt aus Frankfurt am Main,
hatte damals Details recherchiert. Bernhard Redl fuehrte mit ihm
ein Interview.

FRAGE akin: Herr Metz, Sie haben sicher vom oesterreichischen Fall
Omofuma gehoert. In Deutschland hat es einen sehr aehnlichen Fall
gegeben?

ANTWORT Klaus Metz: Das war der Fall, der durch die gesamte
deutsche Presse gegangen ist, wo wir von der Frankfurter
Aerztegruppe nach 5 Wochen erst herausgefunden haben, dasz da ein
Knebel beteiligt war und erst dann hat das gegenueber der dpa
[Anm.: Deutsche Presseagentur] auch die Staatsanwaltschaft
zugegeben. Ich hatte damals mit dem Flugkapitaen gesprochen und
erst dadurch war klar, woran der Fluechtling gestorben ist.

akin: War das damals auch ein Klebeband?

METZ: Nein, das war ein 5,5cm dicker Strumpfkneuel aus mehr als
zwei Struempfen, der mit einem Gurt aus dem Privatbesitz eines
Beamten befestigt wurde. Dieser bewaehrte Flughafenknebler namens
Polizeimeister Brecht hatte auch, nach Aussagen des damaligen
Bundesinnenministers Kanther, schon frueher haeufig mit diesem
Knebel hantiert, ohne dasz es zu toedlichen Zwischenfaellen
gekommen sei.

akin: Was waren die Konsequenzen fuer die Taeter?

METZ: Die Beamten sind von der Staatsanwaltschaft sehr in
Schutz genommen worden. Die Staatsanwaltschaft hat am 3.11.95
gegenueber der Presse gesagt, es habe keine mildere Moeglichkeit
gegeben das hoheitliche Ziel der Abschiebung durchzusetzen als
eine Knebelung. Auszerdem haben die Gerichtsmediziner
freundlicherweise festgestellt, dasz alte
Herzmuskelentzuendungsnarben ursaechlich fuer den Tod waren. Ich
habe mir selber die Bilder angeguckt, diese Narben waren nur sehr
einzeln und verstreut.

Nur musz man dazusagen, dasz die deutsche Gerichtsmedizin den
Amerikanern etwa um 10 Jahre hinterherhinkt. In den USA gibt es
massenweise Untersuchungen zu "sudden incustody death" -- also
"ploetzlichem Gewahrsamstod" -- durch Erstickung. Dort wurde in
58% von 148 Erstickungsfaellen nachgewiesen, dasz sogar nach
heftigem Kampf eine unguenstige ueberstreckte Haltung -- ohne
Knebelung -- ausreichend war, um den Gefangenen zu Tode zu
bringen. Wenn Sie die Spitzensportler im Fernsehen sehen, ist
leicht zu bemerken, wie sie nach groszen Anstrengungen jeden
Kubikzentimeter Luft brauchen, weil sie ansonsten binnen einer
Minute zu einem Atemdefizit von etwa 100 Litern kommen.
Genausowenig wie Sie auf den Gedanken kommen, einem 5000 Meter-
Laeufer nach dem Ziel ein Strumpf in den Mund zu stopfen oder den
Mund zu verkleben. Da ist noch gar nicht mal die Rede davon, dasz
die Nase mitverklebt wird oder, wie vermeldet, der Fluechtling
Bronchitis gehabt haette. Der Engpasz sind einfach die
Nasenloecher. Die Nasenloecher reichen zur Atmung nicht aus bei
Extremsportlern oder nach einem intensiven Kampf oder extremer
Panik -- 6% der Deutschen reagieren mit Herzkraempfen auf solche
Angstsituationen. Da braucht es gar keinen Kampf, sondern auch in
solchen Faellen reichen die Nasenloecher zur Atmung nicht aus.

akin: Gab es politische Konsequenzen?

METZ: Es hat kein einziger Journalist den Ruecktritt des
Ministers gefordert -- weit davon entfernt. Es gab da noch zwei
andere Faelle. 1993 in Groszbritanien ist die Jamaikanerin Joy
Gardner ums Leben gekommen. Darueber gibt es einen ausfuehrlichen
Amnesty-Bericht. Der wurden 4 Meter Klebeband um den Kopf
gewickelt. Die hat dann im Krankenhaus noch ein paar Tage
ueberlebt; die damalige Regierung hat versucht, ihren Tod auf
Nierenversagen zurueckzufuehren und wollte die Knebelung ganz
vertuschen. Und es gab einen Fall am Amsterdamer Flughafen Shiphol
den Fall eines Kosovo-Albaners, der ebenfalls mit Klebeband
gefesselt worden. Der kriegt heute eine Staatsrente, weil er
sprach- und gehgelaehmt ist. Die Richter hatten ihm 1995 recht
gegeben und den Staat zur Zahlung dieser Rente verurteilt.

akin: Aber was ist damals in Frankfurt genau passiert?

METZ: Der Flieger ist gar nicht abgehoben. Der Fluechtling hat
sich ja gewehrt. Der Arzt hatte ihm eine Beruhigungsspritze
gegeben und sich dann nicht weiter gekuemmert, weil er dachte, der
braeuchte gar nicht zu atmen -- das war eine ziemlich skurrile
Geschichte, weil der Arzt meinte, Nigerianer koennten sich soweit
in Trance versetzen. Das kam dann auch im Gerichtsverfahren
heraus, dasz der Arzt die Bundesgrenzschuetzer darueber informiert
habe, bei Nigerianern koennte so etwas sein. Als damals klar
wurde, dasz der Arzt sich geirrt hatte und zwei Sanitaeter mit
einem EKG-Geraet zweimal eine "Null-Linie" feststellten und
bereits Wiederbelebungsmasznahmen durchfuehren wollten, erklaerte
der Arzt, sie sollten das lassen, es haette keinen Zweck mehr. Das
wurde ihm natuerlich auch auch in der Gerichtsverhandlung
angekreidet.

Der Nigerianer ist ja vor den uebrigen Passagieren in die
Maschine gebracht worden und war durch einen Vorhang vom
Passagierraum optisch abgetrennt. Das ist alles am Boden in
Frankfurt passiert. Weil der eben nicht wie beim oesterreichischen
Fall in Bulgarien oder sonstwo gelandet ist, sondern in
Deutschland. Deswegen ist das ja eben nicht zum Skandal geworden,
sondern es war eben nur so ein kurzes Strohfeuer in der Presse.
Die Staatsanwaltschaft hat die Anklage gegen die Grenzschuetzer
verweigert und das Verfahren gegen den Arzt wurde wegen
"geringfuegiger Schuld" gegen eine Spende von 5000 Mark an amnesty
international eingestellt.

akin: Ich danke fuer das Gespraech.


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Kasten:

> Der Fall Joy Gardner (Groszbritannien)

Die Jamaikanerin Joy Gardner erlag im August 1993 ihren
Verletzungen, die sie sich zugezogen hatte, als Polizisten sie in
ihrer Wohnung zwecks Ausweisung aus Groszbritannien festnehmen
wollten. Die Beamten hatten der Frau den Mund zugeklebt und sie
mit den Armen hinter dem Ruecken mit einem Guertel gefesselt. Eine
von unabhaengigen Pathologen vorgenommene Autopsie ergab, dasz der
Tod der Jamaikanerin durch Sauerstoffmangel eingetreten ist. Die
an der Ausweisung beteiligten Beamten wurden vom Dienst
suspendiert und die Arbeit der fuer Ausweisungen zustaendigen
Sonderabteilung der Polizei einstweilen eingestellt. Sowohl die
Polizeibehoerde als auch das Innenministerium leiteten
Ermittlungen zur Aufklaerung des Vorgehens der Polizei bei der
Zwangsausweisung von Joy Gardner ein. Ueber den Ausgang der
Ermittlungen liegen der Redaktion keine Informationen vor.

> Der Fall Semira Adamu (Belgien)

Die Nigerianerin Semira Adamu starb am 22.Juli 1998. Sie sollte
ueber den Bruesseler Flughafen abgeschoben werden. Um die
gefesselte Frau am Beissen zu hindern, wurde die vom Innenminister
so bezeichnete "Kissen-Technik" angewandt: Unter der Bedingung,
dasz die Nase freibleibt, waren die Beamten berechtigt, Gefangenen
ein Kissen gegen den Mund zu druecken.

Gegen einen Beamten wurde wegen Totschlags ein Verfahren
eingeleitet. Ebenso wurde ein Disziplinarverfahren gegen die drei
unmittelbar beteiligten Beamten eingeleitet. Letzteres wurde
mittlerweile eingestellt.

Im Zuge der Debatte wurde das UN-Fluechtlingshochkommissariat von
der Behoerde informiert, dasz es bereits 1982 und 1987 zu
Todesfaellen im Zusammenhang mit der "Kissen-Technik" gekommen
war. *Quelle: amnesty international*





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