Betreff : Glosse: Luegen wie gemailt
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Aussendezeitpunkt: Do, 29.04.99, 18:13 *
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Moderne Zeiten/Glosse:


Luegen wie gemailt


Die wahren Abenteuer sind im Netz.
Ein Beispiel, viele Fragen und die Hoffnung auf einen Markt fuer
Seriositaet

*

Dasz das Internet zu einer Beschleunigung und Vervielfachung von
Information beigetragen hat, ist genauso evident wie die Tatsache,
dasz damit auch die Zahl und Verbreitungsgeschwindigkeit des
Geruechts explodiert ist. Manchmal nuetzt es etwas, sich die
Plausibilitaet eines Geruechts anzusehen, um seine Realitaetsnaehe
abschaetzen zu koennen. Doch leider ist das selten der Fall, denn
die bestverbreiteten Geruechte verdanken ihren Erfolg ihrer
inneren Logik -- oder besser gesagt: Sie sprechen unsere
Vorurteile oder Aengste so stark an, dasz wir sehr gerne gewillt
sind, sie zu glauben. Aber nachdem auch der umgekehrte Fall nicht
selten ist -- dasz wir etwas Unglaubbares als Geruecht abtun --,
sind wir oft ratlos.

Diese latente Ratlosigkeit wird akut, wenn man Mails wie folgendes
unterbreitet bekommt -- verknuepft mit der Anregung, ob das nicht
etwas fuer die akin waere:

"Ich bin sicher, viele von Euch haben die kuerzliche Aufzeichnung
der Oprah Winfrey Show gesehen, wo Thomas Hilfiger Gast war. In
der Show fragte sie ihn, ob jene Stellungnahmen ueber Rassen,
deren er beschuldigt wird, wahr sind. Stellungnahmen wie: '...
wenn ich gewuszt haette, dasz Afro-Amerikaner, Hispanics, Juden
und Asiaten meine Kleider kaufen wuerden, haette ich sie nicht so
schick gemacht. Ich moechte NICHT, dasz diese Leute meine Kleidung
kaufen, weil diese fuer die weisze Oberschicht gemacht sind'.
Seine Antwort an Oprah war ein einfaches: 'Ja!'. Worauf sie ihn
sofort bat, die Show zu verlassen. [...]". (26.3.99, Verfasser aus
Datenschutzgruenden nicht erwaehnt, Uebersetzung aus dem
englischen Original.)

Jetzt ist die Show der schwarzen Talkmasterin Oprah Winfrey kein
Minderheitenprogramm, sondern hat in den USA taeglich ein
Millionenpublikum. Da kann man ja wohl also nicht so einfach etwas
erfinden, ohne mit einer Entlarvung binnen kuerzester Zeit rechnen
zu muessen. Was die Plausibilitaet angeht, so waere es zwar
eigenartig, wenn ein Modeschoepfer meint, ein derart groszer Teil
der US-Bevoelkerung sollte seine Produkte nicht kaufen. Ich bin
aber bereit, einem erfolgreichen Yuppie durchaus zuzutrauen, dasz
er so denkt. Und dasz sein Erfolg ihn so weit unabhaengig gemacht
hat, dasz er sich auch traut, diese Meinung oeffentlich zu
aeuszern. Inbesondere auch deswegen, weil der Reichtum in den USA
immer noch mit ueberwiegender Mehrheit von den "Weiszen" gehalten
wird -- also jenen Leuten, die sich die ueberteuerten Designer-
Fetzen leisten koennen. Schlieszlich ist es ja die Aufgabe von
Markenartikeln, sich von No-Name-Produkten abzuheben -- und damit
deren Konsumenten in verschiedene Klassen einzustufen.

*Surfin` in the Net*

Dennoch: Ueberpruefen musz man das schon. Aber wie? Rein ins
Internet und die Suchmaschinen angeworfen. Erste Ergebnisse
bestaetigen das Geruecht -- allerdings nur in seiner Verbreitung.
Die gefundenen WWW-Seiten und Mails liefern einige stark variierte
Versionen, geizen aber mit Quellenangaben. Schlieszlich ist das
eine Wesenheit des Geruechts: Es gibt keine Autoren.

Doch dann stosze ich auf die Homepage einer Modeboutique. Ich
erfahre, dasz man dort schon ueberlegt hatte, die Bestellung der
Hilfiger-Herbst-Kollektion zu stornieren. Doch habe man
gluecklicherweise festgestellt, dasz die Vorwuerfe falsch sind.
Nun gut, denkt sich der mittlerweile schon ueberhaupt nix mehr
glaubende User, da hat jemand massives Interesse daran, dasz die
Vorwuerfe nicht stimmen. Aber halt, da ist ein Link:
http://www.snopes.com/spoons/legends/hilfiger.htm. Die Geruechte-Homepage
unter dem Titel "Urban Legends" von Barbara und David P. Mikkelson
bietet mir eine laengere Geschichte zum Thema an. Und ich komme
aus dem Staunen nicht mehr heraus:

Schon zumindest seit Anfang 1996 seien die Geruechte ueber
Hilfigers Anschauungen im Netz kursiert. Im Herbst desselben
Jahres sei ein Artikel in einem philippinischen Boulevard-Blatt
mit den bekannten Vorwuerfen erschienen. Spaeter waeren die
Versionen des Auftritts in der Oprah Winfrey Show und einer
aehnlichen Begebenheit in CNN Style With Lisa Klensch
dazugekommen. Anfang 1999 habe eine CNN-Sprecherin den Auftritt
Hilfigers bei Lisa Klensch dementiert und am 11.Jaenner dieses
Jahres haette sich Winfrey gezwungen gesehen, live in ihrer Show
festzustellen: "Ich habe niemals Tommy Hilfiger getroffen".

Ueber die Herkunft des Geruechts lassen sich nur Vermutungen
anstellen. Barbara Mikkelson, die Verfasserin des "Urban Legends"-
Artikel, nimmt an, dasz zweierlei die Ursache sein koennten. Zum
einen waere schon lange vor der Hilfiger-Story eine ebenso
erfundene Version mit der Designerin Liz Claiborne en vogue
gewesen, die aus Oprahs Show geworfen worden waere, weil sie keine
Kleider fuer schwarze Frauen haette machen wollen. Begruendung:
"Ihre Hueften sind zu breit". Zum anderen soll Hilfiger einmal
erklaert haben, dasz auf den Philippinen gefaelschte Hilfiger-
Produkte nie so gut aussehen koennten wie die Originale. Was dann
wahrscheinlich einer Verdrehung ins Rassistische zum Opfer
gefallen waere.

Diese Darstellung Mikkelsons klingt serioes, ist mit papierenen
Quellen belegt. Aber wie soll ich diese doch etwas abgelegene und
recht ausfuehrliche US-Literatur ueberpruefen? Der Aufwand lohnt
sich fuer diese Geschichte wirklich nicht. Also musz ich der
Homepage einfach glauben? Nein, musz ich nicht, denn hier gibt es
ein weiteres Link. Das bringt mich zur Site Oprah Winfreys und
zwar genau zur Webseite der Show vom 11.Jaenner 1999
(http://www.oprah.com/show/archives/ 1999/19990111.html). Und dort
ist nachzulesen, dasz das Dementi Oprah Winfreys richtig ist. Nach
einer Stunde Internetsurfen ist die Sache damit falsifiziert, denn
ein Faelschung ist unwahrscheinlich. Es waere einfach zuviel
Aufwand, nur wegen dieses Geruechts mehrere hundert Webseiten
nachzumachen, die noch dazu wohl kaum laenger als ein paar Tage im
Netz waeren, bevor die Anwaelte des Senders eine Abschaltung
durchgesetzt haetten.

*Viele Fragen*

Ein Schwindel wurde entlarvt. Und? Diese Meldung, haette sie sich
als wahr herausgestellt, haette nicht mehr hergegeben als eine
kurze Notiz in europaeischen Zeitungen. Warum darueber also noch
Worte verlieren?

Und doch wird es jetzt erst interessant. Sehen wir uns die Sache
noch einmal genauer an, stellen sich naemlich einige Fragen: Das
Hilfiger-Geruecht existiert zumindest seit 1996. In seiner Oprah-
Winfrey-Version zieht es seit mindestens zwei Jahren seine Bahnen
durch die Community. Das Dementi in der Show ist dreieinhalb
Monate alt. Die eingangs zitierte Mail aber wurde vor einem Monat
abgeschickt und spricht von einer "kuerzlichen Aufzeichnung". Der
Verfasser dieser Mail suggeriert mit seiner Wortwahl, er habe die
Show selbst gesehen. Warum tut er das? Ist das der unbewuszte
Versuch, ein Geruecht glaubwuerdiger erscheinen zu lassen? Und
warum leitet er diese nicht im geringsten belegte Behauptung
weiter? Und wie ist sie ueberhaupt entstanden? Eine Aktion eines
uebelwollenden Konkurrenten? Oder vielleicht einfach die
boesartig-schlampige Art eines political correctness-Fans, der
Skepsis mit Empoerung zu uebertuenchen sucht? Oder eine Aktion der
Kommunikationsguerilla, die einem Konsumterroristen eins
auswischen wollte...?

Und warum glauben so viele Menschen diesem Geruecht? Zum einen
sicher, weil sie es gerne glauben wollen. Zum anderen aber auch
deswegen, weil ein unbestreitbares Setting mit einer voellig frei
erfundenen Geschichte kombiniert wurde: Oprahs Show ist in den USA
sehr bekannt. Doch auch eingefleischte Fans der Sendung koennen
nicht alle rund 300 Ausgaben pro Jahr sehen. Die vage Datumsangabe
"kuerzlich" fuehrt einen daher leicht zur Annahme, man haette
selbst diese Ausgabe verpaszt. Waere Hilfiger tatsaechlich einmal
in dieser Show gewesen, haetten viele Menschen gehoert, was er
wirklich gesagt hat. Gerade aber die Tatsache, dasz er nie Gast in
dieser Show war, macht die Sache glaubwuerdig.

Und dann ist da auch noch die Neuartigkeit des Mediums. Politisch
interessierte Menschen wuerden sich genieren zu sagen: "Das habe
ich in der Zeitung gelesen." Denn sie rechnen mit der Frage: "In
welcher?" Aber: "Das habe ich aus dem Internet" ist durchaus
akzeptiert. Selbst in serioesen Pubikationen kann man hie und da
die lapidare Quellenangabe: "Internet" finden. Die
Herkunftsangabe: "Das war im Faxgeraet" wuerden dieselben Leute
wohl kaum akzeptieren.

*Von fliegenden Kuehen und Massakern*

Dennoch war die Falsifizierung der Hilfiger-Story ein leichtes
Unterfangen -- relativ gesehen, eine Stunde im Netz musz man sich
schon antun. Aber was ist, wenn es keine glaubwuerdige Homepage
gibt? Oprah Winfrey hat keine Gruende, Hilfiger zu verteidigen.
Aber wenn es niemanden glaubwuerdig Informierten und
Interesselosen gibt, der im Netz oder sonstwo erreichbar ist? Und
wenn es sich dann nicht um solche Banalitaeten wie einen
mutmaszlich rassistischen Modedesigner handelt oder gar jene
beruechtigte Kuh, die aus einem russischen Flugzeug fallend, ein
japanisches Fischerboot zerstoert haben soll? Wenn es stattdessen
beispielsweise um Kriegsberichte geht? Dabei rede ich ja gar nicht
von den bewuszten Luegen. Ich moechte nur den beruehmten einen
Schilling fuer jedes "aus fuer gewoehlich gut informierten
Kreisen" und "geruechteweise war zu hoeren" und "man hoert in" der
letzten vier Wochen in den oesterreichischen Medien und vor allem
jene Behauptungen, die als belegte Realitaet verkauft wurden, aber
doch nur Hoeren-Sagen-Berichterstattung war. Fuer das Geld koennte
sich die akin dann endlich eine neue Druckmaschine leisten...

*Ausblick*

Dennoch, ich bleibe ein unverbesserlicher Optimist. Vielleicht hat
ja die Flut an Geruechten ihr Gutes. Denn die Erkenntnis, dasz
Medien immer schon Falschmeldungen lanciert haben, ist allein
schon durch die Redewendung "luegen wie gedruckt" belegt. Die
durch das neue Medium aber forcierte Verunsicherung kann
vielleicht dazu beitragen, dasz wieder Sehnsucht nach serioesem
Journalismus entsteht. Nach Berichterstattern und Medien, die sich
"einen Namen" durch belegbare Geschichten gemacht haben und
wissen, dasz sie dieses Vertrauen verdammt schnell wieder
verlieren koennen. Ich denke, dasz in diesen Zeiten der medialen
Ueberschwemmung solche glaubwuerdigen Zeugen auch auf dem Markt --
mag es nun ein idealistischer oder ein kapitalistischer sein --
wieder auf eine entsprechende Nachfrage treffen koennten. Und das
waere durchaus auch im Internet moeglich, wie das Beispiel der
"Urban Legends"-Homepage zeigt. Denn das Medium musz ja nicht
immer die Message sein... *Bernhard Redl*


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